Max Winter
Eine Nacht auf einem Polizeikommissariat
Arbeiter-Zeitung Nr. 91 vom 2. 4. 1899
Die Amtsstube ist dumpfig, niedrig. Zwei Schreibtische – Rücken an Rücken – bei den Fenstern, vier Stühle, ein eiserner Ofen auf gemauertem Sockel, ein Lederdivan und ein massives Büchergestell, auf dem die in blaue Decken gebundenen Protokolle modern – das ist die Einrichtung. Hinter dem einen Schreibtisch baumelt an der Wand eine Seidenschnur. Sie stellt die Verbindung mit dem Glockenzug her. An diesem Tische sitzt der Kommissär. Ein kurzgestutzter dunkler Vollbart umrahmt sein Gesicht, in dem ein Paar ruhigblickende Augen sitzen. Ich möchte ihn den Mann ohne Nervosität nennen. Ruhig wie sein Auge ist sein Wesen, das beim Handeln indes nicht der Lebendigkeit entbehrt. Er hat viel zu thun. Eine unruhige Nacht folgt dem bewegten Tage. Die Geschichte einiger Seiten des Protokollbuches, das als nächstes auf der Stellage Platz finden wird, wollen wir erzählen. Sie ist eine Kette hochinteressanter sozialer Bilder, die einander fast ohne Unterbrechung folgen. Sie sind in ihrer Summe der soziale Niederschlag einer Nacht auf einem Polizeikommissariat. Der Alkoholismus und unglückliches Eheleben, die in ihrer furchtbaren Wechselwirkung sich fast immer gegenseitig folgen, haben in der bunten Bilderreihe hervorragende Stellen. Sie treten fast immer als die äußeren Ursachen in Erscheinung. Wer tiefer blickt, wird unschwer die Noth und das Elend der breiten Volksmassen als die eigentlichen Regisseure dieser Vorführungen erkennen.
* * *
Der unterstandslose Lehrbub. Es ist halb 9 Uhr. Der Amtsdiener führt einen Jungen vor. Sein Gesicht ist rußig. Die schwieligen Hände sind geschwärzt. Er hat einen schmierigen, schwarzglänzenden Schurz umgebunden. «Ein Schlosserbub, den sein Meister davongejagt hat und der sich unterstandslos meldet»! ... Mit diesen Worten führt der Amtsdiener den Jungen vor. Dieser dreht seine Stoffkappe in den Händen, da er vor den Kommissär tritt. Er ist ein lebhafter Junge. Bevor ihn noch der Kommissär fragt, fängt er seine Leiden in gebrochenem Deutsch zu erzählen an.
«Bitt’ schön, ich waß nicht, was hat Master wull’n, ich hab’ nicht verstanden. Und da hat mi g’sagt: Geh’ zum Teufel, wannst nit hörst. Ich brauch di’ net! Und hat mich a paar Watschen geb’n.»
Der Kommissär: «Hat er dich verletzt?» – Der Junge versteht den Ausdruck: «verletzt» nicht. «Hast a Wunden?» – «Na, bitt’ schön.»
Von der Gasse herein dringt gedämpfter Lärm in die Amtsstube. Auf den Milchglasscheiben der Fenster tanzen Schattenbilder vorüber: Bubenköpfe mit und ohne Hut. Es ist eine Arretirung mit dem üblichen Gefolge. Den Kommissär stört der Aufzug nicht. Er fährt in seinem Verhör fort.
...»Und dann bist du fortgegangen? Wohin denn?» – «Bitt’ schön! Zu andre Master. Der hat mir g’nummen, aber Master hat zu andere Master g’sagt, er soll mir net nehmen.» – «Möchst D’ wieder zurückgehn? Wir werden den Meister herrufen.» – «I mußt schön bitten, ich kann nit so deutsch. I kann nit so deutsch.» – Na, wir werden schon sehen!»
Der Kommissär nimmt noch Name und Adresse des Meisters auf, verfaßt eine Vorladung und sagt dann zu dem Jungen: «Setz’ dich draußen nieder. Hast denn niemand in Wien, daß du auf die Polizei übernachten kommst?» – «Bitt’ schön, ich hab nix Freundschaft und kann nix schlafen.» – «Na, dann mußt d’ warten.»
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Die Wirkungen des Alkohols. Schon während des letzten Theiles dieser Einvernahme drang vom Amtsvorzimmer dumpfes Gröhlen herein. Dem abtretenden Jungen begegnet in der Thür der Amtsdiener. Er meldet: «Eine renitente Arretirung ist da. Sieben oder acht san dran g’hängt. Husaren und Infanteristen.» – «Bringen S’ den Mann herein!» – Die Thür ist halb geöffnet. Wie das Grunzen eines wüthenden Schweines schlagen die unartikulirten Laute dieses – Menschen ans Ohr. «Oder warten Sie,» fügt der Kommissär hinzu, «ich geh’ selbst hinaus.» In dem engen Raum draußen sind fünf bis sechs Polizisten auf einem Haufen beisammen. Eine bewegte Masse von Menschenleibern, schlecht beleuchtet von dem Schein einer Lampe. Einen Moment nur wird zwischen zwei Rücken der geröthete Kopf des Rasenden sichtbar. Er ist ein noch junger Mensch, fast bartlos ... sie drücken ihn auf die Bank nieder, die längs der Wand läuft. «I lass’ mi net todtstechen!» Diese Worte lösen sich von dem heiseren Gröhlen deutlich los. Der Kommissär ist jetzt mitten unter den Wachorganen und Amtsdienern, die den Wüthenden bändigen wollen. «Bringen S’ ihn hinaus,» sagt er ruhig. Eine Thüre zum Hof wird geöffnet, und dadurch schleppen sie den Volltrunkenen. Sein Hemd ist an der Brust offen, den Rock trägt ein Amtsdiener nach.
Während dieser Szene springt ein chargirter Soldat lebendig hin und her. Bald ist er im Knäuel der Wachen, bald in dem Vorzimmer der Amtsdiener. Schließlich eilt er zur Thür hinaus.
* * *
Der «Retter». Die Hofthür ist geschlossen. Das Wuthbrüllen verhallt hinter den Mauern des Arrests, wohin der jetzt schon Gefesselte gebracht wird. «Der Arzt ist zu verständigen!» Mit diesen Worten geht der Kommissär in das «Journal»-Zimmer zurück. Hinter ihm kommt der Wachmann, der die Arretirung vorgenommen hat. Mit ihm ein Mann in Zivil. Es ist der «Retter» des Wachmannes. Er will auch gleich das Wort ergreifen. «Wann i net bin ...»
Der Kommissär (zum Wachmann): «Was hat’s also ’geben?» – Der Wachmann: »Er hat a paar Damen per Huren beschimpft. A Korp’ral war a mit ihm. Die sind zu mir ’kommen, und ich hab’ ihn ang’halten. Da hat er mich gleich ang’fahr’n und Wachebeleidigungen hat ’r ausg’stoßen, und beim Kragen hat er mi nehmen woll’n ... Der «Retter»:» «Lausbua, du hast nix z’ fress’n, hat ’r g’sagt.» – Der Wachmann: «Ja, und bei der Brust hat er mi g’nommen.» – Der «Retter»: «i war sei Schiedsrichter... Wann i net bin, so is der Wachmann herg’richt’. Am ganzen Weg hab’n m’r z’thuan g’habt. Ein gefährlicher Mensch is er scho’. Wann i net bin, i sag’s ja...» – Der Kommissär: «Jetzt sind S’ ruhig, sonst kann ich ja net schreiben.» – Der «Retter»: «Um d’ Erd’ hätt’ ’r ’n draht, wann i net bin.»
Das hatte den «Retter» noch gedrückt. Das hatte er noch sagen müssen. Er weidet sich jetzt in dem stolzen Gefühl, eine große That vollbracht zu haben. Er gibt Namen und Stand an. Er ist ein Wiener Kleingewerbetreibender mit zwei Adressen, der jetzigen und der künftigen. Zuerst gibt er die eine an, dann fährt er mit seiner Hand aufs Protokoll und sagt mit Gönnermiene: «Schreiben S’ lieber...» (Folgt die neue Adresse)
In wenigen Minuten ist das Protokoll gefertigt. Zwischen Thür und Angel sagt der «Retter» zum Wachmann: «Jetzt kann i a Lauferei a no hab’n mit der G’schicht.» Sehr ernst nimmt er es mit dieser Sorge übrigens nicht, denn während der nächsten Amtshandlung, die dieser gleich folgt, ist sein Bierbaß durch die Thür hörbar. Er hat sich herabgelassen, die Geschichte, wie er den Wachmann rettete, auch den Amtsdienern zu erzählen: «Wann i net bin...» u. s. w.
* * *
Ein Pechvogel. So muß man entschieden den Helden der nächsten Amtshandlung nennen. Ein guter Vierziger im Werkstagskleid der Bauarbeiter. Die Guthmütigkeit steht ihm im gerötheten Gesicht. Nach dem Feierabendtrunk geht er ruhig nach Hause. Sein Weg führt ihn über freies Feld. Auf einmal stoßt er an etwas an. Es fühlt sich für den Fuß wie Menschenleiber an. Grausen packt ihn und gleich darauf Schrecken. Die Leiber werden lebendig, er sieht sich drohend umringt: «Du hast uns anpacken woll’n,» schreit eine Stimme und gleich darauf Weibergekreisch... auf freiem Felde in finsterer Nacht. Er lauft, was er Beine hat. Steine fliegen ihm nach, und Verfolger heften sich an seine Fersen: «Aufhalten! Aufhalten!» – «Wem?» – «Den mit der weiß’n Hosen.» Er hat eine sandgelbe Hose. In der Nacht mag sie weiß scheinen. Er lauft, was er kann... die wilde Jagd hinter ihm. Jetzt haben sie ihn. Er wird dem Wachmann übergeben. «Der hat an’ anpackt.» Wegen Bedenklichkeit nimmt ihn der Wachmann mit. Die Ergreifer und «Zeugen» folgen.
Nun steht der Pechvogel vor dem Kommissär. Mit weinerlicher Stimme erzählt er die Geschichte... von seiner Begegnung mit Menschenleibern auf freiem Felde in dunkler Nacht. «Bitt’ schön, i bin nur aug’straft, und da hat mi’ Aner Staner nachg’wurfen. I geh’ alle Tag über den Feld. No nie is mi was g’scheh’n. Jesus, den Unglück... i hab’ mein Leben noch nit a Vietlstund’ Straf’ g’habt, was ich auf den Welt bin.» Er gibt dann noch Namen, Stand und Adresse an. «Ledig?» fragt der Kommissär. – «Na, bin ich verheirat’, hab ich an Weib z’ Haus.» – «Also wir werd’n halt Ihre Frau rufen lassen!» (Zum Amtsdiener:) «Ist abzuführen. Die Zeugen soll’n hereinkommen.»
* * *
Klassische Zeugen. Da stehn sie, ihrer drei. 13, 15 und 19 Jahre alt. Der Aelteste nimmt zuerst das Wort: «I hab’n nur aufg’fangt.» – Der Kommissär: «Warum?» – «No weil er an’ anpackt hat; wissen S’, unser’ Gegend is so viel unsicher. Unser Herr is gestern anpackt wurd’n, mei’ Frau hab’n s’ vurige Woch’n anpackt, heut Nacht san drei verschütt’t wur’n.» – «Sie, das interessirt mich alles nicht. Haben Sie von dem Vorfall was g’sehn?» – «Nein.» – «Also wer hat dann was g’sehn?»
Neben dem großen Neunzehnjährigen verschwindet fast ein kleiner Knirps in einem blauen «Barchentjanker», ein «Schräuferl» im Ohr ... Dieser meldet sich jetzt lebhaft. «I waß’! A Herr, na a junger Bursch und a junge Fräul’n hab’n g’schrian: ,Der wüll uns anpack’n!’ und hat an Stan g’wurf’n, daß no’ die Kathi g’schrian hat: ,Net do werfen, sonst kunnten s’ uns treff’n!’ und da samer g’rennt .... ihm nach.» Der kleine «Pülcher» war ganz in Eifer gerathen. – Der Kommissär: Wie kummst denn du auf d’ Nacht auf das Feld?» – «Ja, i muaß Milli austrag’n.» – «Gehst in d’ Schul’? In d’ Bürgerschul’?» – «Na!» – «Wie alt bist denn?» – «Dreizehn, ins vierzehnte Jahr.» – «Da muaßt do scho’ in d’ Bürgerschul’ geh’n! In welche Klass’ gehst denn?» – (Verschämt lächelnd:) «In d’ dritte. I bin a paarmal sitzen blieb’n.» Wie er das sagt, lacht ihm der richtige Lausbub aus den Augen. Was kann aus dir noch werden, armes, unverständiges Elendskind!
Der dritte Zeuge, der intelligenteste von allen dreien, hat auch nichts gesehen. Er ist nur beim «Aufhalten» mit dabei gewesen. Der Kommissär: «Ja und wo ist denn das Paar, das er anpackt haben soll?» – «Die sind a Weil’ mit’gangen, aber dann san s’ a’bogen.» – «Die werden auch die Richtigen gewesen sein.» – «Vielleicht hat ’r weg’n sein Madl net mitgehn woll’n» entschuldigte der Fünfzehnjährige das Paar, auf das der Pechvogel auf freiem Felde in dunkler Nacht gestoßen war...
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Die geschiedene Frau als Prostituirte. Ein junger Wachmann tritt ein. Er legt die Rechte salutirend an den Helm und klappt militärisch mit den Fersen zusammen: «Eine Arretirung wegen Nichteinhaltung der Prostitutionsvorschriften.» Der Amtsdiener, der zufällig im Zimmer anwesend ist, gibt seinen Text drein: «Das ist eine sehr Bekannte!» – «Sie soll ein bissel warten,» sagt der Kommissär, «jetzt kommt gleich mein Nachtmahl.» – Schon ist auch der Kellnerjunge im Zimmer. Er stellt ein Rindsgollasch und ein Glas Bier auf den unbenützten Schreibtisch. Zehn Minuten später – 9 Uhr 20 Minuten – nimmt der Dienst seinen Fortgang.
Die Prostituirte wird hereingeführt. Sie ist klein, blond, alternd. Ihr Rock ist von einer schwarzen Clothschürze verhüllt. Eine graubraune Winterjacke deckt eine Commodeblouse aus Rosaflanell. Der weiche haarige Rosastoff ist unter der geöffneten Jacke sichtbar. Eine Kopfbedeckung trägt sie über ihrem flachshell gefärbten Haar nicht.
«Küss’ d’ Hand!» Mit einem tiefen Knix tritt sie vor.
Der Wachmann (im Amtsstil) «...Dieselbe ist auf der Hauptstraße auf- und abgegangen und hat die Passanten in zudringlicher Weise belästigt.»
Der Kommissär nimmt die Generalien ab. «Sie heißen?... Sie sind – Prostituirte! Katholisch?... Ledig?» – «Katholisch, geschieden, bitte.» – «Sie haben ein Gesundheitsbuch?» – «Ja.» – «Sie, wie Sie sich das Buch g’nommen hab’n, da ist Ihnen ausdrücklich vorgelesen worden, daß Sie nicht auf der Hauptstraße spazierengehen dürfen?» – «Mir is nix vorg’lesen word’n, i bitt’!» – «Aber reden S’ net, einer jeden wird’s vorgelesen. Ist es richtig, haben Sie mehrere Passanten ang’sprochen?» – «Na, i bitt’, in der Dingsgassen da hat mi a Bekannter g’seg’n...» – «Immer dieselbe Ausred’.» – «Er hat ’glaubt, i wohn’ no in mein’ alten Haus.» – «Sie, es heißt, Sie hab’n Männer angesprochen?» – «Na, i net.» – «Der Wachmann sagt’s aber.» – Dieser: «Ja wohl!» – Das «Mädchen» zum Wachmann (weinerlich): «Herr Wachmann schau’n S’, zum zweitenmal...» – Der Wachmann (bestimmt): «Sie hat zwei Herren angesprochen. Einen in der Dingsgasse und dann einen zweiten in der Hauptstraße. Der ist mit ihr gegangen.» – Die Prostituirte: «Ja es war a Bekannter von mir. Er wär’ mit mir ’gangen. Aber wia mi der Herr Wachmann vor ihm g’stellt hat, hat er si schenirt und is ’gangen.»
Hunger thut weh. Der Kommissär: «Also auf der Hauptstraße. Immer dieselbe Geschichte. Das darf nicht sein. Die anständigen Damen halten sich mit Recht darüber auf.»
Die Prostituirte (in Weinen ausbrechend): «Sie wissen nicht, wie uns die Frauen sekkiren, wenn wir nichts verdienen.»
Der Kommissär: Sie sind eine verheiratete Frau, leben getrennt; haben Sie sich denn keinen anderen Erwerb gewußt?
Die Prostituirte (unter heftigem Weinen): Die Noth hat mich dazu ’zwungen. Net amal a Paar Schuh kann i m’r kaufen. So hungert m’r von an Tag auf’n andern.
Der Kommissär: Führen Sie sie ab und kommen Sie wieder herein.
Der Wachmann gibt dann nochmals detaillirt seine im Amtsstil gehaltene Aussage ab, die protokollirt wird. Unterdes öffnet sich die Thür. Eine neue Erscheinung tritt auf den Plan.
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Der Doktor. «Gut’n Abend!» – «Guten Abend!» – «Was gibt’s?» – «Einen Betrunkenen. Aeußerst renitent. Sie müssen ihn untersuchen.» – «Was hat er denn gemacht?» – «Einen Wachmann bei der Brust gepackt.» – «Oeffentliche Gewaltthätigkeit?» – «Nein, ist nicht vorhanden. Thätliche Beleidigung.» – «Wann ist er gekommen? Schon lange?» – «Draußen ist es vorgemerkt.» – Der Doktor geht und kommt während der nun folgenden Amtshandlung wieder zurück. Er reicht dem Kommissär ein zweiseitig beschriebenes Blatt hin: «Unzurechnungsfähig! Total angetrunken.» – «Danke!» – «Gut’n Abend!» – «Guten Abend!»
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Der Branntweinteufel. Der Kommissär zieht an der Glockenschnur. Der Amtsdiener erscheint. «Führen Sie mir jetzt den (aus dem Protokoll einen Namen lesend) vor, vielleicht ist er jetzt schon beruhigt.» Bald klopft es schüchtern an die Thür. Der Kommissär (zu sich): «Aha, jetzt klopft er schon an.» Gleich darauf steht ein rußiger, dunkelhäutiger Mann mit aufgedunsenem Gesicht im Zimmer. Seine Haltung ist nicht ganz sicher. Die linke Backe scheint geschwollen. Auf dem Kopfe trägt er eine Kompresse. Er ist Mitte der Dreißig. «Sie sind katholisch, verheiratet. Sie leben getrennt?» – «Na, getrennt net, i bitt’ schön, sie hat m’r die Wohnung ausg’ramt, m’r sein «nur» vonanander.» – «Sie sollen ja schon alles versoffen hab’n? Fünf, sechs Gläser trinken Sie beim Branntweiner.» – «Ich steh’ direkt im G’schäft, und, i hab’ a schware Arbeit...» – «Aufpassen jetzt, Sie san Kohlenaustrager? In an Gasthaus soll’n Sie Ihrer Frau gedroht hab’n. Sie war da, passen S’ jetzt auf, was sie angibt. (Aus dem Protokoll lesend:) ,Er hat mir gedroht, er wird mich, wenn ich mich mit einem anderen zusammenziehe, heute noch mit Vitriol übergießen. Er wird mich umbringen. Was er erreichen will, weiß ich nicht.’ Sie fürchtet sich vor Ihnen. Haben Sie oft Streit g’habt mit ihr.?» – «A paar Woch’n hab’n m’r uns g’stritten. Früher einmal. Unter zwei Monat’ gar nicht mehr.» – «Wie lang’ sind Sie nicht mehr beieinand’?» – «Vierzehn Täg, länger is ’s net.» – «Sie hat die ganzen Kinder?» – «Eins hat’s! Ans is am Land, und ans hat der Bruader g’nummen.» – «Na ja, an die armen Kinder geht’s aus! Sie hab’n ihr am Samstag zwa, drei Gulden bracht, und am Dienstag hol’n sie ’s wieder. Was hab’n s’ denn Lohn?» – «Acht Guld’n die Woch’n. Da muaß i m’r Frühstück, Gabelfrühstück, Mittag, Jausen und Nachtmahl davon zahl’n. Wann i dann am Montag ka Geld net g’habt hab’, hab’ i g’sagt, sie soll m’r a Krone geb’n. Mir bleibt ja nur am Tag a Krone.» – «Und die thun S’ versaufen.» – «O na, i iß ja do’ a was.»
«Ich muß Sie dem Landesgericht einliefern – wegen gefährlicher Drohung.» – (Apathisch:) «Da thun S’ mir mei’ ganz’ G’schäft verderben.» – «Net ich, Ihre Frau hat’s verlangt. Sie fürcht’ sich. Ich hab’ ihr vorg’halten, was die Kinder einmal zu ihr sagen werden, wenn sie den Vater ins Landesgericht gebracht hat. Sie aber hat g’sagt, sie traut sich nicht aussa. Sie is ihres Lebens net sicher.» – «I hab’ Zeugen, daß i a ehrlicher Mensch bin.» – «Ehrlich scho’, aber roh sind Sie !» – «Mei Frau kann vül sag’n, aber wahr muaß’ net sein. Da müss’n dann die Zeug’n a herkommen. Vormittag war i durt. Z’ Mittag hab’n S’ mi’ gar net einilass’n ins Wirtshaus. Sie hab’n mir gar nix eing’schenkt... (Plötzlich der Ursache gedenkend , lauter:) Sie hat m’r mei Wohnung ausg’ramt. Mei’ ganz’ Sachen hat s’ mir g’nummen. Mei’ hat all’s g’hört. Sie hat ja nix g’habt, als a Tuchert hat’s g’habt.» – «Den Kindern g’hört’s und an den Kindern geht’s a aus, daß ihr zwei euch net vertragts. Daß ihr so leicht auseinander seid, wundert m’»...
So redet der Kommissär dem Mann, der die Drohungen leugnet, eine Weile ins Gewissen, bis der Proletarier betheuert, er hätte nicht die Absicht gehabt, so etwas auszuführen, wenn er es auch gesagt hätte. «I nimms ja. I will ja nix anders hab’n, als daß sie zu mir kommt. Wir sind verheiratet, und wir soll’n beisammen sein. Es is wahr, i trink a bissel.»
Der Kommissär: «Wie viel is das bissel?»
Der Mann: «Zwei, drei Glaseln Branntwein. I geh’ ja ins Wirtshaus essen. Bitt’ Ihna, um fünf Sechserln kann m’r ja net vül trinken.
Der Arrestant wird wieder abgeführt.
* * *
Eine Nothversöhnung. Der Schlossermeister kommt, der seinen Jungen zum Teufel gejagt hat. «Ja, Sie jagen da den Buben einfach hinaus und kümmern sich nicht weiter um ihn. Das geht ja nicht so!» Mit diesen Worten empfängt ihn der Kommissär. – «Der Bursch’ läuft mir in der Früh fort, was soll ich thun?» – «Können Sie böhmisch?» – «Nein, aber der Bub kann sehr gut deutsch. Er hat mich net anhör’n woll’n.» – «Na, mit seinem Deutschkönnen is’ net so weit her. Er kann sehr schlecht deutsch.» – «Ich hab’ ihn g’nommen und vürig’stoßen, weil er net kummen is, wia i ihn g’rufen hab’. ;Kannst net kummen, wann i di ruaf’?’ mehr hab’ i net g’sagt. Er is dann furt und i hab’ ihm seine Sach’n geb’n. Weiter hab’ i nix g’hört.» – «Sie soll’n ihm aber einen andern Meister ab’gred’t haben.» – «I net, höchstens der G’sell, weil der Bua a nix taugt.» – Vielleicht hat der Bub’ Angst vor Ihnen g’habt?» – «Er is scho zweimal davongelaufen.»
Der Junge wird vorgerufen. Der Meister demonstrirt nun an ihm, wie er es gemacht habe. Er nimmt ihn beim Genick und gibt ihm einen recht sanften Stoß.
Der Kommissär (zum Jungen): «Du darfst auch nicht alles gleich so schwer nehmen. Dafür ist dein Meister Schlosser. Der redet nicht so fein mit die Leut’. Das bringt das G’schäft mit sich. Du mußt folgen und aufpassen. Willst wieder zurückgehn zu deinem Meister? Er nimmt dich wieder.»
Der Meister: «Nur mit dem Bemerken, daß es auf kurze Zeit is, daß er sich wo anders umschaut.»
Der Kommissär: «Dann müssen Sie ihn in Frieden entlassen. (Zum Jungen:) Jetzt gehst mit deinem Meister nach Hause, und vielleicht gelingt es dir, ihn zufriedenzustellen. (Zum Meister:) Er ist ein Böhm, ein bisl begriffstützig, dem müssen Sie Rechnung tragen...»
Der Meister (im Fortgehen): «So? Der weiß alles so gut, wie ich.»
Der Kommissär: «Also in Frieden! Nicht schlagen, sonst kommen Sie noch mit dem Gesetz in Konflikt.»
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Ein leichtes Früchtel. Eine sonderbare Gruppe führt der Wachmann auf. Zwei junge Arbeiterinnen – Schwestern –, die ihren wegen Diebstahls verfolgten Bruder bei einer zufälligen Begegnung verhaften ließen. Der 16jährige Bursch erscheint in Kellner-Eleganz. Sein lichtbrauner Ueberzieher verdeckt einen dunklen Sacco-Anzug. Er ist der Sohn eines Bedienten. Ein Nichtsnutz durch und durch. Die Schwestern sind seine Anklägerinnen. Besonders die ältere, ein 20jähriges Mädchen, von wenig sympathischem Aeußern, ist lebhaft. «Du, daß d’ die Wahrheit sagst! Hast die zwa Uhr’n g’stohl’n oder net?» Mit scheu gesenktem Blick gibt er, ohne sonst innere Vorgänge zu verrathen, dies zu und auch, daß er die beiden Uhren um 2 fl. verkauft habe. Der Kommissär sagt zu ihm: «Sie scheinen sehr leichtsinnig veranlagt zu sein?» – «Ja das is er,» fällt die Schwester ein, «er thuat net guat. Wir möcht’n ’n gern in a Zwangsarbeitsanstalt bringen. Der Vatter kränkt si’ ja so über den Buam!» – «Er wird dem Kommissariat X. eingeliefert, gehen S’ halt morgen hin und verlangen Sie die Abgabe in eine Zwangsarbeitsanstalt.»
Der Junge hört dies alles mit der gleichmüthigsten Miene der Welt an. Den wird eine Zwangsarbeitsanstalt nicht mehr bessern. Der ist dem Zuchthaus verfallen... unwillkürlich empfängt man diesen Eindruck.
* * *
Wieder der Pechvogel. Es ist mittlerweile bald halb 11 Uhr geworden. Der Amtsdiener meldet, daß der wegen Bedenklichkeit eingelieferte Bauarbeiter wohl unter der Adresse gemeldet sei, die er angegeben habe, daß seine Frau in dem Hause aber nicht zu finden sei. «Führen Sie ihn vor!» Schlaftrunken, mit verschwollenen Auge, die das Licht nicht vertragen, kommt er herein. Seinen Rock hat er über die linke Achsel geworfen, die Hose hält er krampfhaft mit der Rechten hinauf. Er kommt in der Arresttoilette, die er in der Eile und Finsterniß nicht zurechtmachen konnte. So droht ihm seine weiße Hose, das Erkennungszeichen des Flüchtigen, jeden Augenblick untreu zu werden. Er tritt ganz nahe an den Tisch des Kommissärs heran. – «Was ist denn mit Ihrer Frau? Die laßt sich ja gar nicht anschau’n? Wohnt sie vielleicht wo anders? In dem Haus ist eine Frau Namens..... nicht zu finden.» – «Ja, bitt’ schön, hab’ ich mit ihr nur g’lebt, bitte schön.» – «Aber Sie kennt man auch nicht in dem Hause. Wohnen Sie schon lang dort?» – «Ja, zehn Jahr’, bitte schön. Bin ich schon sechs Jahr’ bei an Herrn.» – «Warum haben S’ denn g’sagt, daß Sie verheiratet sind?» – «Bitte schön, hab’ ich so verstanden. Ich lebt’ schon sechste Jahr mit ihr. Sie is a Wäscherin.»
* * *
Eine Volkswohnung. Während dieses Verhörs kratzt er sich wiederholt. Der Kommissär taucht ihn etwas vom Tisch weg. «Treten S’ zurück, ich muß nicht von allem haben.» (Zum Amtsdiener:) «Ist das Haus weit weg?» – «Ziemlich weit, Herr Kommissär.» – «Aber von der Wachstube nicht?» – «Nein.» – (Zum Pechvogel:) Wie heißt denn Ihre Frau?» – Dieser gibt den Namen an. Der Kommissär schreibt ein Telegramm, das die Frau verständigen soll. (Unterm Schreiben:) «Ist in dem Haus vielleicht eine neue Hausmeisterin? – Ja bitte schön!» – Der Kommissär (zu sich): Die kennt halt noch nicht alle Parteien. (Zu dem Mann:) «Was haben S’ denn da für eine Wohnung?»
«A Kammer, bitt’ schön.»
«Was zahl’n S’ denn Zins?»
«2 fl. 6 kr., bitt’ schön.»
«Wöchentlich?»
«Na, monatlich. I hilf da allerweil a bissel zum Arbeiten.»
«Aber 2 fl. 6 kr. für eine Kammer?! Was ist denn das für eine Kammer?»
«Bitt’ schön, Kellerkammer. So von Hof; paar Stufen geh’n’s abi.»
Der Kommissär macht das Telegramm fertig und übergibt es dem Amtsdiener. Die Frau soll nochmals gesucht werden. Gemeldet ist sie. «Kann ich noch nicht ham?» fragt der Graukopf. – «Nein, bis das konstatirt ist.»
* * *
Ein lustiger Walzbruder. «Von Mariazell hat sich Einer unterstandslos gemeldet», so lautet die nächste Meldung, die der Amtsdiener, und zwar um ¾ 11 Uhr, erstattet. «Wenn Einer von Amerika auswandert, so kommt er zu uns!» brummt belustigt der Kommissär. «Führen S’ ihn herein!» Der Walzbruder kommt mit einem verschmitzten Lächeln bei der Thür herein. Er ist trotz der Devotion des Lumpenproletariers, die er ostentativ zeigt, in heiterster Stimmung.
Der Kommissär: «Sie schauen wieder die Polizei als Verpflegsstation an.»
Der Andere Ich bitte, entschuldigen Sie,: «ich komme von Tulln.»
«Was suchen S’ denn in Wien?»
«Ich bitte, entschuldigen Sie, ich hab’ hier Freundschaft. O, bitte sehr.»
«Sie waren ja nach Gablitz geschrieben?»
«Ich bitte, entschuldigen Sie, ich war nach Gablitz geschrieben.»
«Warum sind Sie denn nicht zu Ihrer Freundschaft gegangen?»
«Ich bitte, entschuldigen Sie, ich kann sie jetzt nicht finden. Aus diesem Grunde; Ich bin von Tulln um 7 Uhr weg und nach Gablitz zu einer Tante, und dort hab’ ich zu Mittag gegessen, und jetzt bin ich mit 13 Kreuzern nach Wien gefahren.»
«Wieso kommen Sie gerade in diesen Bezirk?»
«Ich bitte, entschuldigen Sie, da bin ich aufgewachsen.»
«Was haben Sie für ein Reiseziel?»
«Ich bitte, entschuldigen Sie, ich gehe nach Bruck an der Leitha, in die Kantine, entschuldigen, ich war schon dreimal dort. Ich bitte, wenn das Lager angeht...» Er spricht ungarisch fort.
«Sprechen Sie deutsch!»
«Ich bitte, ich kann besser ungarisch wie der Stuhlrichter.»
«Na, so arg wird’s nicht sein. Wie ein Stuhlrichter?»
«Ja bitte, jach kenn ach besser jüdisch wie der Rabbiner!» Und nun begann er im unverfälschten Jargon zu reden, und plötzlich waren griechische Laute seinem Mund entschlüpft. Im Eifer seines Vortrages zitierte er plötzlich Verse von Homer in der Ursprache.
«Sie können ja auch griechisch?»
«O bitte, entschuldigen Sie, ich kann auch tschechisch. Der Herr Sekretär hat mit mir immer tschechisch gesprochen.» Zum Beweis begann er in einem slavischen Idiom zu sprechen. «Ich kann sieben Sprachen sehr gut: serbisch, ungarisch, walachisch, deutsch, tschechisch...»
«Und da sind Sie nur Hausknecht?»
«Es ist mir nicht gelungen, eine bessere Lebensstellung zu erringen. In der vierten Gymnasialklasse bin ich durchgefallen, und da hat mich mein Vater in die Lehr’ gegeben, ich hab auch ausgelernt in Wien, ich bitte, entschuldigen Sie, im Jahr 1872, und seither geh’ ich in der Welt herum.»
«Da müssen Sie schon weit herumgekommen sein. Was war das Weiteste?»
«Serbien, Bulgarien, Rußland.»
«Rußland auch? Können Sie russisch?»
(Selbstbewußt:) «Ob ich’s kann!»
«Da müssen Sie auch einen Paß gehabt haben:»
«Ja, den hab’ ich mir in Czernowitz gelöst. Verstehen Sie, in das Konsulat bin ich gegangen.»
Mit seinem Vielreden verwickelte er sich zum Schluß in kleine Widersprüche, die aber seiner angeheiterten Stimmung zuzuschreiben sind. «Morgen wird es sich ein biss’l leichter mit Ihnen reden.» Damit verabschiedete ihn der Kommissär.
* * *
Nachtunruhe. Damit ist der große Anprall dieser Nacht überstanden. Es tritt Ruhe ein. Der Kommissär sitzt am Schreibtisch und fertigt die Protokolle aus. Nur einmal wird er noch in Anspruch genommen. Um ¾ 1 Uhr wird ein Beamter vorgeführt, der im Rausch die nächtliche Ruhe störte. Er wird auch zur Ausnüchterung abgeführt. Der Kommissär geht in den anstoßenden Raum – schlafen. Es ist 1 Uhr. Bis gegen 4 Uhr bleibt er auf seinem Ruhebette ungestört. Um die Zeit wird ein Musikus eingeliefert, der beschuldigt ist, einem Kollegen die Uhr genommen zu haben. Der «Aufbleiber» – ein Amtsdiener muß immer wach sein – meldet es in kurzem Weg. «Zum Morgenrapport!» Der Kommissär genießt weiter seine karge Ruhe. Eine Viertelstunde früher war dem Kommissär ein verirrter Alkoholiker gemeldet worden. Auch er kam zum Morgenrapport.
* * *
Die gute Freundin. Es ist halb 7 Uhr Morgens. Das Journalzimmer ist von einer Frau schon aufgeräumt, und eben wirbeln die Amtsstaubwolken in dem Zimmer der Agenten und im Vorzimmer auf. Die Bedienerin ist einen Augenblick mit einer anderen Sache beschäftigt. Es gibt einen kleinen Tratsch durchs Fenster, das in den Hof führt. Zwei weibliche Mühlen mahlen. Jetzt fährt eine männliche brummige Stimme dazwischen. «Was suachen S’ denn da im Hof. Da hab’n S’ nix verlur’n.» Gleich darauf öffnet sich die Vorzimmerthür, und einen Einkaufskorb am Arm, kommt eine Frau in den Dreißigern in den Vorraum. Vom Hofe herein knurrt die brummige Stimme. Die Frauensperson gibt aber nicht nach: «Na, na, weg’n den Lackerl Kaffee wird’s net aus sein.» Jetzt kommt der glückliche Besitzer des Brummbasses auch in den Vorraum. Ein Wachmann in Hausuniform. «Was suachen S’ denn da?» – «Da därf i net sein, in Hof a net. Wo soll i ihr’s denn hingeb’n?» – Der Wachmann entfernt sich: «Ich hab’ halt den Auftrag dazua!» Kaum hat er die Thüre geschlossen, so wird die Frau mit dem Einkaufskorb erst recht lebendig: «Na, der hat a no kann g’fressen.» Die alte Stauberzeugerin (den Besen ruhen lassend): «Welche is ’s denn?» – «Die Rothe mir der schwarzen Jacken.» – «So?! A fesche Gretl!» – «Weg’n die paar Stund’, was s’ hat zum Absitzen, so G’schichten z’machen. Soll s’ vielleicht ohne Kaffee in der Fruah bleib’n?»
Darüber sind die beiden Weiber bald einig, daß so etwas nicht gut möglich sei.
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Der Morgenrapport. Es ist 7 Uhr. Der Kommissär sitzt schon wieder an seinem Amtstisch, um bezüglich des Zuwachses Verfügungen zu treffen. Die Häftlinge seit 7 Uhr Abends werden vorgeführt.
Der erste ist ein Lehrling, den sein wunder Finger zu feiern nöthigte. Deshalb wäre er natürlich nicht mit der Polizei in Konflikt gerathen – wohl aber deshalb, weil er seine Feierstunden dazu benützte, um einer Frau in Kompagnie mit einigen anderen Burschen ihren Lieblingspintscher zu stehlen. Gestohlen haben ihn natürlich die anderen, deren Namen und Adressen er genau angibt, daß er aber eine Ohrfeige, die ihm die Frau gab, als sie ihn mit dem Hund betrat, mit gleicher Münze zurückzahlte, kann er nicht leugnen. Er bleibt in Haft, bis seine Mutter kommt.
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Der Rabiate – ausgenüchtert. Der zweite Häftling, der vorgeführt wird, ist der rabiate Arrestant, zu dessen Bändigung wenige Stunden vorher kaum sechs Männer ausreichten. Er ist ein hübscher, hochgewachsener Bursch; ein Fleischhauer von Beruf. «Wie ist denn das zugegangen? Sie hätten ja bald alle erschlagen?» – «Ich weiß selbst nicht, Herr Kommissär.» – «Daß Sie für heute mit einem blauen Auge davonkommen, haben Sie nur dem Umstand zu verdanken, daß Sie volltrunken waren.» – Der Amtsdiener: « Dann haben Sie im Arrest herumgebissen wie ein wildes Thier.» – Der Häftling: «Das ist alles das Trinken. I bitt’ nur, daß i net mei G’schäft verlier’, jetzt vur Ostern.» – Der Kommissär: «Sie kommen vors Bezirksgericht.. Geht fort!» – Der Amtsdiener: «Linksum!» – Bevor er sein «Kehrt euch» machte, versucht er, dem milden Kommissär die Hand zu küssen.
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Gute Bekannte. Der «Pechvogel» kommt auch jetzt nicht los.
«Wer Unglück hat im Leben,
Stolpert im Grase,
Fällt auf den Rücken
Und bricht die Nase.»
Seine Frau ist noch immer nicht eruirt. Es wird ein Agent in die Wohnung beordert. Der Pechvogel fügt sich resignirt in sein Schicksal.
Das leichte Früchtl ist auch schnell abgefertigt. Der Amtsdiener meldet, daß die Note über den von ihm begangenen Diebstahl von dem Kommissariat, in dessen Rayon sich der Diebstahl ereignete, bereits eingelangt sei. Er wird also diesem Kommissariat überstellt. «Das Weitere werden Sie schon sehen!» sagt ihm zum Abschied der Kommissär.
Der lustige Walzbruder kommt mit seinem «Ich bitte, entschuldigen Sie, ich habe einen Rausch gehabt» und mit dem Versprechen los, daß er sofort seine «Freundschaft» aufsuchen, eventuell nach Mödling abreisen werde.
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Der «gestörte» Seitensprung. Der zuletzt vor den Kommissär geführte Beamte, der wegen nächtlicher Ruhestörung eingeliefert worden war, entschuldigt sich gleichfalls damit, daß er ein bischen mehr getrunken habe. Er sei mit seiner Geliebten beim Hausthor gestanden, und da habe der Herr Wachmann seine Stellung beim Hausthor falsch beurtheilt und ihn zur Rede gestellt, worauf er im Gefühl der Unschuld laut geworden sei. – «Sie sind doch verheiratet?» fragt der Polizeiagent. – «Ja, ich bin halt weg von der Frau, das heißt, wir leben nicht gut miteinander. Aber wir haben noch gemeinschaftlichen Haushalt»... Der Kommissär macht der Fragerei mit Verkündigung des Urtheils ein Ende: § 11: zwei Gulden Geldstrafe, eventuell zwölf Stunden Arrest. Der Amtsdiener folgt dem noch jungen Mann die Börse aus, er zahlt, erhält die Bestätigung und geht. Bei der Thüre dreht er sich nochmals um und sagt zu seinem Richter: «Danke sehr! Guten Tag!»
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Ein Ausländer ohne Papiere. Wieder kommt Einer, der schon vor 8 Uhr Abends dem Kommissariat eingeliefert wurde. Ein Taglöhner aus Ungarn, der ohne Papiere in dem Moment aufgegriffen wurde, als er sich in die Stallung eines Milchmeiers einschleichen wollte, um dort zu übernachten. Seine Papiere sind drei Versatzzettel. Sie retten ihn vor dem Schub. Er verspricht, sie zu verkaufen und sofort nach Ungarn abzureisen. Der Kommissär gibt ihn frei.
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Ein «Wirbel». Wieder ein Opfer des Alkohols! Um 5 Uhr Früh aufgegriffen – stark angetrunken. «Wie sind S’ denn in den Bezirk gekommen. Sie wohnen ja ganz entgegengesetzt? – «Ja, mit mein’ ,Wirbel’. I Waß’ net, wia i da herüberkommen bin. Na, so a ,Wirbel’!» – «Das nächstemal trinken S’ net so viel. Für heut können S’ z’ Haus gehen.»
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Verkauft’s mei’ G’wand... Ein Drahrerpaar erscheint. Der Musikus und sein Freund und Anzeiger. Der Musiker ist nüchtern, der andere hat noch immer viele Mühe, das Gleichgewicht zu erhalten. Er trieft vor Edelmuth: «I will mein’ Freund nicht nahetreten weiters – er hat g’sagt, er zahlt an Absan – und hat sich dann meine Uhr ausgeliehen vom Marqueur und hat damit fortgeh’n woll’n. (Plötzlich im Deutsch des Salonpülchers): Ich konnte nicht nach Hause gehen; warum? Weil ich keinen Hut nicht gehabt habe.» Der Kommissär sieht bald, daß der Herr Anzeiger noch jetzt sehr angeheitert ist, und wendet sich an den Beschuldigten, der einen sehr intelligenten Eindruck macht. «Erzählen Sie!» Der Musiker erzählt nun, daß der Anzeiger ohne Ueberzieher und mit der Hutkrempe in der Hand in das Kaffeehaus gekommen sei, und daß er dort sofort seine Uhr gegen einen Schwarzen verpfändet habe. Um dem Freunde den eventuellen Verlust der Uhr zu ersparen, habe er sie ausgelöst, mit der Absicht, ihm die Uhr zu geben, bis er nüchtern sei. Sein Freund habe vorher schon in einem anderen Lokal seinen Ueberzieher versetzt.
Der Kommissär: «Da liegt doch gar kein Diebstahl vor. Sie, Anzeiger, müssen ihm Abbitte leisten. Jetzt geht’s alle zwei nach Hause und versöhnt’s euch... Aber nicht so viel trinken ein anderesmal.»
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Der Vitriolattentäter ist der letzte, der vorgeführt wird. Vorher erscheint der Wirth als Zeuge, in dessen Lokal er die Drohungen ausgestoßen haben soll. Der Wirth hat nur gehört, daß er «eine Handvoll Steine nehmen und ihr damit den Schädel einhauen will». Das klingt nicht mehr so schlimm, und der Kommissär beschließt, die Frau nochmals vorladen zu lassen, bevor er den Branntweintrinker dem Landesgericht einliefert. Ein letzter Versöhnungsversuch! Vielleicht ist er von Erfolg. Zu dem rußigen Manne aber sagt er: «Sie stecken ledig im Branntweinhäusl, wie der Wirth sagt. Durch Ihr Trinken haben Sie Ihr ganzes Familienglück zerstört. Geben S’ den Branntwein auf.» Ob die Mahnung nützen wird? Es ist kaum zu glauben. Wen der Branntweinteufel einmal so fest bei der Falte hält, den läßt er nimmer los.
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Es ist 8 Uhr Morgens. Der Nachtdienst ist zu Ende, und nun beginnen für den Beamten zwei Stunden Ruhe außer dem Amte. Um 10 Uhr muß er schon wieder im Dienst sein, freilich nicht wieder zu vierundzwanzigstündigem Dienst, der jeden Beamten je nach dem «nur» jeden vierten, fünften, sechsten Tag trifft. Es gehören Nerven dazu!
Max Winter.
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