Max Winter
Rund um Favoriten
Eine Skizze aus dem Leben der Enterbten
Arbeiter-Zeitung Nr. 343 vom 14. 12. 1901
I. Gassen und Menschen!
Favoriten ist eine Stadt für sich. Da nahm Einer einmal ein Zeichenblatt her, Lineale und Bleistifte und machte auf das Blatt Längs- und Querstriche. Von der Favorita, dem heutigen Theresianum, ging er aus und besiedelte mit dem Bleistift auf dem Papier die öde Landstraße, die sich gegen Himberg hinzog, rasirte die Pappelbäume zur Rechten und Linken, schüttete den Straßengraben zu und ließ an ihren Seiten Häuser entstehen: Fabriken und Wohngebäude. Rothschraffirte Blöcke waren es auf dem Plan, nüchterne, graubraune Häusermassen wurden es in Wirklichkeit. Und auch gegen Laxenburg zu und längs des Zuges der Staatsbahn entstanden Straßen, die wie Strahlen im Brennpunkt bei dem Favoritner Viadukt der Südbahn zusammenliefen. Ein Häuschen stand am Brennpunkt: Der Gasthof Steudel, und Ansiedelungen waren auch an den Enden der Straßen: das alte Landgut am Ende der Himbergerstraße und ein alter Park zur Rechten der Stelle, wo heute die Laxenburger Allee beginnt. Zum Steudel wanderten die Väter der Aelteren, die Großväter der Jüngeren, und war Einer besonders gehlustig, so dehnte er seine sonntägige Landpartie gar bis zum «alten Landgut» am Fuße des Lehmhügels aus, den die Geographen Laaerberg, die Wiener aber Lagerberg nennen. Auf der Landstraße oder auf Feldwegen gelangten sie im Sonnenbrand des Sommertages dahin. Und heute? Die alten Ziel- und Ausgangspunkte existiren noch. Der Steudel noch, auch noch das schmutzige Gehöft «zum alten Landgut» und rechts von der Laxenburger Allee der «Rudolfshügel» und die «Fortuna», über die Parkwiese hinüber führt der Weg. Aber was dazwischen liegt, ist die nüchterne Wirklichkeit des Fabriksortes. In ödester Einheitlichkeit reihen sich die immer grauen oder braunen, immer düsteren Häuser zu Straßen, zu Längs- und Querstraßen, die von Simmering bis Inzersdorf reichen, oder bilden da und dort Plätze. Diese sind gleich trostlos, wie die Häuser und die Gassen. Kein Denkmal schmückt sie, kein ornamentaler Brunnen erfreut das Auge, selbst die einzigen öffentlichen Gebäude, die Schulen, sind nüchtern, wie alles da draußen. Der Ziegelrohbau irgendeiner Fabrik mit seiner wahnsinnig gleichmäßigen Fensterflucht – drei Stockwerke übereinander – ist die einzige Abwechslung in dem Bild. Ueber dem ganzen lagert Rauch und Staub, und durch alle Gassen rast der Lärm der Industrie. Lichtblicke nirgends und nirgends auch Ruheplätzchen. Alles öde, alles nüchtern, grau in Grau alles – das ist Favoriten!
So auch ist es in den Häusern. Gehe nur in eines dieser Quartiere des Proletariats! In den älteren Häusern: niedrige berußte Gänge, oft altersblinde Scheiben in den Fenstern, die Höfe angefüllt mit dem Kram, der in den Werkstätten nicht Platz findet, nirgends Hausgärten, häufig Ställe, und in den neueren Bauten, wie dort, Thür an Thür die kleinen Wohnungen, die Kerker der Kinder. Die Hausordnungen sind streng und untersagen den Kindern, denen die Bodenwucherer die Höfe genommen haben, die freie Bewegung auf den Gängen und Stiegen. Die Kerker der Kinder sind die Wohnungen und die Arbeitszellen der Erwachsenen zugleich, der hausindustriellen Frauen und Mädchen, der Näherinnen und Schneiderinnen, der Stickerinnen und Blumenmacherinnen, die jetzt fleißig die Rosen für Weihnachtsbäume binden, die in so kurzer Zeit unsere Kleinen erfreuen sollen. Daran arbeiten auch die Kinder in den schulfreien Stunden mit, die sie nicht etwa im Kampf um das Häferl Suppe vor der Wärmestube zubringen müssen. Und die Väter und erwachsenen Söhne? Sie sind hinter den Fenstern zu suchen, die die Rohziegelwände der Fabriken unterbrechen, oder in den großen Werkstätten der beiden Bahnen, die auf Favoritner Boden ihren Ausgangspunkt haben: der Süd- und Staatsbahn. Auch sie frohnden und schuften wie Kerkerhäftlinge vom frühen Morgen bis zum späten Abend, und ebenso ihre Kameraden von der Straße, die einigen tausend Kutscher, die Favoriten beherbergt. Um vier Uhr Morgens schon rollt polternd der unendliche Zug der Cabswagen, der zweirädrigen Karren, auf denen Erde verführt wird, durch die Straßen, und auch die oft zu flinken Brotwagen kommen hochbeladen aus den Thoren der vielen Brotfabriken heraus und verschwinden im Dunkel der Nacht nach allen Richtungen, um rechtzeitig mit dem Brot für die Erwachenden zur Stelle zu sein. Einspänner und Fiaker haben sich draußen angekauft, Speditions- und Schwerkutscher haben ihre Wagen dort eingestellt und fahren zu den ersten Zügen der Bahnen, um die anlangenden Waaren und die ankommenden Menschen weiter zu befördern, und andere Wagen wieder führen die Lichtquelle – das Petroleum – in Blechkannen in alle Bezirke. Sie alle, die dieses polternde und lärmende Frühkonzert dirigiren, und die anderen alle, die in den Arbeitskerkern stehen, sind noch die Glücklichen. Sie haben ja noch Arbeit! Aber die anderen, die tausende, die draußen stehen, deren Kraft niemand kaufen will, die eine «gottgewollte» Ordnung zum Hungern verurtheilt, was treiben sie? Genießen sie die Zeit der Ruhe? Sie sind womöglich noch früher auf den Beinen als die Arbeitenden. Noch früher, weil jeder der erste am Platze sein will, wenn irgendwo einer begehrt wird. Im Dunkel des Frühmorgens eilen sie in die Stadt, in die Schulerstraße, wo die Zeitungsinserate ausgehängt sind, dann zu den genossenschaftlichen Arbeitsvermittlungen und zum städtischen Vermittlungsamt, laufen sich die Füße wund im Wettlauf ums Brot, um dann noch mehr entmuthigt heimzukehren zu den hungernden Kindern, zu der sorgenerfüllten Mutter... Oder sich zu verkriechen in den Nothquartieren der Obdachlosen, draußen am Wienerberg oder am Laaerberg in den Ringöfen, wo sie in den kalten Dezembernächten ein warmes Freiquartier finden. Das sind die Bewohner von Favoriten, das ist ihr Los!
In diesen Gassen und bei diesen Menschen wollen wir heute Umschau halten.
*
Der Alkohol als Zerstörer der Familie. Der Zufall führt mich in die Wohnung einer Frau am Wielandplatz. Mitleidige Nachbarinnen, die selbst nicht helfen können, machen mich auf die Frau aufmerksam. Ich trete von einem schmierigen Gang – das Haus gehört der Donau-Dampfschifffahrtgesellschaft und muß nothwendig schon deshalb vernachlässigt sein – in eine finstere, dumpfe Küche und von hier in das Zimmer. Eine verfallende, nichtssagende Frau fragt nach meinem Begehr und hat gleich Thränen im Auge, da sie theilnehmende Fragen hört. Auch die drei schmierigen Kinder, die auf dem einen der beiden Fenster sitzen, werden aufmerksam. Gegenüber dem Fenster, kaum drei Schritte entfernt, baut sich eine Mauer auf, und hinter dieser erhebt sich die rückwärtige Front eines Schulbaues, der «Quellenschule». Der kleinste Knirps kommt gar herbei. Von dem breiten Fensterbrett führt der Weg über einen schwarzen Koffer aus weichem Holz ins Zimmer. «Geh, Muatta, gib m’r mein’ Frack.» Der Knirps macht Toilette. Die Mutter reicht ihm eine zerrissene Joppe. «Die hab’ ich von aner Frau im Haus kriagt, damit ’r wenigstens was zum Anziagen hat, wann ’r bei der Wärmestub’n steht.» – «Was ist’s denn eigentlich mit Ihrem Mann?» – «Im Narr’nturm is ’r. Das is ja unser Unglück. Jetzt steh’ i allan da mit fünf Kinder und waß net, wo i ’s Nothwendigste hernehma soll. Wir leb’n ganz von der Wärmestub’n und unsern Lackl Kaffee.» – «Verdienen Sie denn gar nichts?» – «Dö paar Kreuzer trag’n nix aus. I hab’ a Bedienung und ins Reib’n geh i. Im Bazar thua i d’ Stiag’n reib’n...» – «Was war denn Ihr Mann?» – «A Schlosser.» – «Und weswegen is ’r denn in die Irrenanstalt kommen?» – «D’ Eifersucht hat ’n einibracht.» – «D’ Eifersucht?» Ich sehe die Frau ungläubig an. – «I waß net, wia i ’s sag’n soll. Er hat halt a trunk’n.» – «Branntwein?» – «Na ja, wann ’r ka Arbeit g’habt hat, hat ’r Branntwein trunk’n, sunst a Bier. Es hat ’n halt a verfolgt, und da is ’r m’r so rabiat wurd’n, bis s’ ’n wegg’führt hab’n.» – «Besuchen Sie ihn öfter?» – «Jetzt war i scho lang net drin. All’s kost’ a Geld. An jeden Wärter, der ei’m die Thür aufsperrt, soll i was geb’n und ihm soll i a was bring’n: A paar Packerln Tabak und a paar Kreuzer extra, und mir hab’n selber nix z’ fress’n. Nix Urndlichs zum Anziag’n a net, da verdriaßt’s ei’m. M’r schenirt si ja, so einiz’gehen. Jetzt hab i nur g’schaut, daß die Kinder Schuach kriag’n.» – «Bekommen Sie denn von der Schule keine Schuhe?» – «Ja, aber erst zu die Weihnächten, und so lang kann i dö Hascher net bloßfüßi’ oder mit Holzschlapfen geh’n lass’n. Da iß i lieber net, daß die Kinder Schuh hab’n.» – «Da bekommen also die Kinder heuer keine Schuhe von der Schule?» – «Nein. Der Lehrer schaut vor Weihnachten, ob die Kinder Schuh’ hab’n, und dann werd’n s’ austheilt. Das is a schlechte Eintheilung. Kalt is’s vur Weihnachten a scho, und da wird’s gar manche Mutter geb’n, die liaber ’s Brot z’sammbettelt, bevur s’ ihre Kinder bloßfüßi laufen lasset. Schau’n Sie ’s an... das G’spenst. An den Bub’n is eh nix als Haut und Baner, und den soll i frieren lass’n?» – Sie weist dabei auf den drittältesten, einen zehnjährigen Buben, der ruhig am Fensterbrett sitzt. Der richtige Elendsjunge, blaß und kränklich, zart, fast durchscheinend. Den soll ich frieren lassen? Und der Gefahr einer Erkältung aussetzen, die ihm vielleicht den Rest gibt? Ausgesprochen hat sie es nicht, diese brave Mutter, die das Leben sonst so hart gemacht hat, aber weiter gedacht hat sie gewiß so...
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Für die da draußen ist alles gut. Vom Hinterhaus komme ich durch den Hof, in dem Milchkannen umstehen und Wäsche aufgehängt ist, in den Flur, und von da wieder ins Freie, auf den Platz. Der Wielandplatz ist einer der ältesten Plätze in Favoriten. Er trägt, wie alle diese Oasen in der Ziegelhaufenwüste des Proletarierbezirkes, das Gepräge der Armuth, der Verwahrlosung, der Unfreundlichkeit an sich. Kein Gärtner zeigt auf diesen Plätzen seine Kunst. Schwarzbraune, rissige Robinienstämme ringen sich aus dem festgestampften Boden zum Licht und breiten ihr stacheliges Geäste und Gezweige zur Krone aus. Erst im Hochsommer geben sie Schatten! Zwischen den Stämmen stehen Bänke, viele Bänke aber alle ohne Lehnen. Sie sind ein in unser «christliches» Zeitalter hinüberragendes Denkmal der liberalen Stadtregierung, der für das arme Volk da draußen das Schlechteste gerade noch gut genug war. Wenn nur die Ringstraße gute und bequeme Bänke für das Volk der Pflastertreter und Bummler hatte. Der Arbeiter, der da draußen auf der Bank sein Mittagbrot einnimmt, der in kühler Abendstunde oder untertags von der Hetzjagd nach dem Happen Brot ausruhen will, der braucht keine Lehne. Auch die Näherin nicht, die tagsüber mit gekrümmtem Rücken über ihrer «Greifer-« oder Ringschiffmaschine sitzt, auch sie braucht keine Lehne, an der sie ihrem Rücken eine Stütze zur Geradehaltung geben könnte, und die Mütter nicht, die dorthin ihre Kinder führen. Für die da draußen ist alles gut! Und sind denn die Nachfolger der Liberalen besser? Schaut euch doch die zwei jüngsten Plätze von Favoriten an: den Antonsplatz, auf dem sich der Kuppelbau der neuen Kirche erhebt, und den Laubeplatz mit seiner nüchternen Umgebung von Fabriken und Zinsburgen. Vergleicht sie! Der Platz um die Kirche ist von den Gärtnern schon erobert. Wege sind angelegt, Bäume werden gepflanzt, und sicher kommen auch noch bequeme Bänke hin. Auf dem Laubeplatz aber, auf dem keine Kirche steht, sind die Parkflächen nur mit Grassamen beworfen worden, um die Rasenplätze sind zwischen den ungehobelten, nicht einmal angestrichenen Holzpfosten Drähte gespannt – kein Baum, keine Bank ist zu sehen. Umzäunte Grasflächen, auf denen der Schmutz der Straße und die Abfallpapiere, die in Wien nirgends in Behältern gesammelt werden, lagern, und zwischen ihnen zwei Wegdiagonalen: das ist alles. Halt, auch noch die Tafel, laut der auch diese Anlagen dem Schutze des Publikums empfohlen sind, steht dort. Klingt diese Mahnung nicht wie Ironie? Auf dem Keplerplatz, wo die alte Kirche steht, sind die lehnenlosen Bänke schon durch neue ersetzt, auf allen übrigen Plätzen geht es langsamer vorwärts mit dem Auswechseln der alten Bänke. Die Herren im Rathhaus wissen also, was sie zu thun hätten, und sie thun es doch nicht. Warum? Weil auch sie meinen, daß für die da draußen allen gut sei, für die da draußen, so weit es nicht Pfarrer oder unduldsame Kooperatoren sind. Das ist der ganze Umschwung im System, daß die Christlich-Sozialen die Kirchenplätze pflegen. Sie halten sich schadlos, indem sie an den zur Pflege der übrigen Plätze und zur Ausgestaltung der neuen Plätze nothwendigen Summen umsomehr gewissenlose Abstriche machen.
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Bei einer Hemdennäherin. «Hat m’r net Bettleut’ so muaß die Frau den Zins verdienen.» So antwortete mir eine Weißnäherin, die Frau eines Parteigenossen, auf meine Frage, warum sie denn eigentlich neben ihrem «Häuslichen» noch arbeite. Das ist die Wahl, die die Frauen des Proletariats haben: Entweder die Unannehmlichkeit, die Unbequemlichkeit, die ewige Pein der Genirtheit, des «Nieallein-Seins» – oder die Last hausindustrieller Arbeit. Eines oder das andere müssen sie mit in Kauf nehmen. So lange sie noch jung sind und die Kinderschaar noch nicht allzu groß ist, ziehen sie die Fessel hausindustrieller Arbeit vor und treten in jeder freien Minute, die sie der häuslichen Arbeit und der Pflege der Kinder und – Männer (es gibt auch «Zwiderwurzen» darunter) abringen können, ihre Maschine. Eine solche brave Frau ist die, von der hier die Rede ist. Sie ist glückliche Mutter nur eines dreijährigen Knirpses, der seinen Spielplatz neben der Nähmaschine aufgeschlagen hat. Er sitzt in seiner Spielbank, vor sich ein Kartenspiel, und damit vergnügt er sich in seiner Art. Die Karten ersetzen ihm das Bilderbuch. Immer wieder betrachtet er den Herzkönig oder die Carreaudame und freut sich der eckigen Figuren und bunten Farben. Die Mutter sitzt daneben und tritt die Maschine, eine «Greifer», weil diese «leichter geht». Sie näht Hemden für eine Wäschefabrik. Das Dutzend um 1 Krone 60 Heller, und da muß sie noch den Zwirn, das Oel, das Licht und die theuren Nadeln – eine kostet 8 Heller – kaufen. Wie viel sie im Tag fertig bringt? «Derweil i no ledig war, bin i scho alle Tag’ mit ein’ Dutzend fertig word’n, jetzt mach’ i zwei, höchstens drei Dutzend in der Woch’n. Wie’s halt grad geht.» Sie bekommt die zugeschnittenen Hemden von der Uebernehmerin. Diese ist die Vermittlerin zwischen der Fabrik und der Näherin. Die Fabrik übergibt ihr die Stoffballen und die Maße. Sie schneidet nun die Hemden zu und übergibt sie den Maschinnäherinnen, die alle Maschinnähte herstellen müssen. Dann bekommt das Hemd die «Vernähterin», deren Aufgabe es ist, die Schlitze und sonstige offene Endstellen mit der Hand zu vernähen. Nun ist das Hemd lieferfertig, und die Lieferantin tritt in Aktion. Sie liefert die bis auf die Knopflöcher fertigen Hemden der Manipulantin oder dem Manipulanten in der Fabrik ab und bekommt gleich neue Stoffballen mit. Die Fabrik bezahlt für das Nähen eines Dutzend weißer Herrenhemden von schlechtester Qualität 2 Kronen. Diese werden für die verschiedenen Arbeitsleistungen wie folgt vertheilt:
Der Subunternehmerin bleiben für das |
|
Zuschneiden |
Kronen |
-.20 |
|
die Maschinnäherin erhält |
" |
1,60 |
|
die Vernäherin erhält |
" |
-.10 |
|
die Lieferantin erhält |
" |
-.10 |
Am schlimmsten ist die Vernäherin daran. «Wie viele Dutzend kann sie im Tag vernähen?» – «Wie viel sie verdienen kann? O, du himmlischer Vatter! Wie viel soll die verdienen? Das thun halt alte Frauen so nebstbei. Zu einem Dutzend braucht s’ a gute Stund’. Wann s’ Kinder hat, die ihr liefern gehen, dann kann s’ eher noch was verdienen, aber so, wann s’ vier, fünf Stund’ arbeit’, hat s’ zwa Sechserln verdient, und da muß sie noch den Zwirn dazu geb’n. Das is nur, daß das Kind an Nam’ hat.»
«Wie viel muß denn eine Maschinnäherin für den Zwirn ausgeben?» – «Für Zwirn und Woll’ für sechs Dutzend 40 Kreuzer.» – «Und für Oel?» – «Um 3 Kreuzer braucht m’r bald im Tag!» – «Und Petroleum?» – «Da kann m’r drei, vier Stund’ im Tag rechnen. Aber das müßt m’r ja so a hab’n.» – «Nachdem Sie zu sechs Dutzend sechs Tage brauchen, haben Sie also 68 Kreuzer Auslagen darauf? Das gibt für jedes Dutzend 11 Kreuzer Auslagen?» – «Ja, so etwas.» – «Sie haben also nicht 1 Krone 60 Heller, sondern nur 1 Krone 38 Heller Lohn für ein Dutzend, und dafür nützen Sie noch die Maschine ab.» – «Das is wahr. Erst heut hab’ ich wieder dem Mechaniker 3 fl. 50 kr. zahl’n müss’n, und Nadel bricht auch alle Augenblick eine.» – «Dann ist ja Ihr Lohn noch geringer?» – «Ja, das muß all’s davon ’zahlt werd’n.» – «Wie viele Stunden brauchen Sie zu einem Dutzend?» – «Als Madl hab’ i mi um 7 Uhr hing’setzt, und bis 7, halb 8 Uhr Abends war i fertig.» – «Also etwa zwölf Stunden?» – «Da muß m’r aber dabei bleib’n könn’n.» – «Sie haben somit einen Stundenlohn von 11 Hellern.» – «Das ist das Schlechteste. Bei der bessern Gattung is a halbe Stund’ mehr Arbeit, weil Schneidernäht’ g’macht werd’n müssen, aber um a Sechserl mehr Lohn. Für die Hemata mit aufg’legter runder Brust hat die Nahterin 1 fl. und für die eing’setzten mit doppeltem Brustfutter 1 fl. 10 kr. Freili muß s’ da auch die runden Stöck absamen.» – «Kann man diese auch in einem Tag fertig bringen?» – «M’r muaß halt a bisl länger arbeiten, und eing’schossen muaß m’r drauf sein. M’r kann rechnen fünf Dutzend in der Woch’n.» – «Es kommt also so ziemlich auf dasselbe heraus.» – «Ja, wann m’r’s recht nimmt, is g’hupft wia g’sprungen. Mehr als 5 fl. kann a Nahterin, und wann s’ no so fleißig is, nia verdienen.»
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Ein Besuch im Wöchnerinnenheim.
In der Knöllgasse in Favoriten, abseits von der Triester Reichsstraße, über die zur Zeit der Bausaison Ziegelwagen um Ziegelwagen von abgemagerten Gäulen hereingeschleppt wird, befindet sich das Wöchnerinnenheim des Vereines «Lucina», das bedürftigen Ehefrauen zur Zeit der Niederkunft und des Wochenbettes Aufnahme und Verpflegung gewährt und gleichzeitig Frauen und Mädchen zu geübten Pflegerinnen heranbildet. Dorthin führt auch mich der Weg. Der Anstaltsleiter Dr. Klein ist mein Führer durch das Heim, dessen Besichtigung vor allem einen Eindruck in mir zurückläßt: Alles ist peinlich rein und den Anforderungen moderner Hygiene entsprechend. Das Wöchnerinnenheim ist eine Musteranstalt im kleinen. Mit seinen zwanzig Betten Belegraum kann es natürlich nicht entfernt dem Massenansturm genügen. Es ist nur ein bescheidener Anfang, eine Illustration etwa, wie es sein sollte und in einer vernünftigen Gesellschaft auch wäre, in einer Gesellschaft, in der die öffentlichen Gewalten es nicht der immer unzulänglichen Privatwohlthätigkeit überlassen, jene Wohlfahrtseinrichtungen zu schaffen, die zu errichten die Pflicht der öffentlichen Gewalten, insbesondere der Verwaltung der Millionenstadt wäre. In unserer heutigen Gesellschaft ist das natürlich anders. So wenig die Kommune Wien für die Rettung Verunglückter vorsorgt, so wenig sie einen Groschen übrig hat für die hungernden Schulkinder, für die frierenden Unschuldsengel, so wenig sie Obdachlosen ein Bett und Kranken Pflege bietet, so wenig sie Volksbüchereien, Badeanstalten, Kinderspiel- und Eislaufplätze, Knabenbeschäftigungsanstalten – und wie sie alle heißen, diese im Rahmen der heutigen Gesellschaftsordnung unentbehrlichen Wohlfahrtsinstitute –, so wenig die Kommune diese Anstalten errichtet, ebensowenig hat sie für die Wöchnerinnen übrig, die in einem dumpfen, feuchten Gelaß oft, und nicht selten in einem Bett, das sie mit ihrer Familie theilen müssen, bar jeder Pflege der schweren Stunde entgegensehen.
Das aber ist das Schicksal der Frauen, die im Wöchnerinnenheim «Lucina» Schutz suchen und so lange der Platz reicht, auch finden. Die wohlhabenden Frauen, die den Bettelsack für dieses Heim schwingen, besorgen auch die Erhebungen über die Lebensschicksale der Bewerberinnen. Was sie da sehen und in den Fragebogen niedergelegt haben, gibt einen tiefen Einblick in das soziale Elend dieser Familien. Blättern wir in den Auskunftsbogen!
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Wie das Volk zur Welt kommt. Da sucht die Frau eines Hilfsarbeiters der Kommune Wien Hilfe. Der Mann verdient «nur bei schönem Wetter» 2 Kronen täglich. Regnet es, so kann er hungern und mit ihm seine Frau und sein dreieinhalbjähriges Kind. Alle drei schlafen in dem einzigen Bett, das die Familie besitzt. In diesem müßte die Frau auch niederkommen. Sie ist überglücklich, in dem Heim ein reines Bett zu finden, ärztliche Hilfe, Bäder, entsprechende Kost, Ruhe, genügend Luft und die nöthige Pflege. Alles dies hätte sie daheim entbehren müssen.
Ein beschäftigungsloser Schneidergehilfe und seine Frau, die sich, so lange es geht, als Wäscherin einige Kreuzer verdient, sind das nächste Paar. Sie haben fünf Kinder und alle sieben zusammen – drei Betten.
Ein Bett haben der Schwerkutscher, seine Frau und sein dreijähriges Kind. Er hat wohl 24 Kronen Wochenlohn, muß davon aber sein Leben auf der Gasse bestreiten. Von 5 Uhr Früh bis 10 Uhr Nachts ist er auswärts. Seiner Frau kann er kaum einige Sechserln täglich geben, und pflegen kann sich der hundsmüde Mann, der 16 bis 17 Stunden täglich arbeitet, nicht einmal bei Nacht.
Ein Drechslergehilfe, der 14 bis 16 Kronen in der Woche verdient, theilt mit seiner Frau und seinen vier Kindern im Alter von 3 bis 16 Jahren – zwei Betten. Wo soll da die Frau entbinden?
Der Reservist als Vater ist der nächste. Am 25. August mußte er zur Waffenübung, am 26. August «schenkte» ihm seine Frau im Wöchnerinnenheim den ersten Jungen. Sie hätte niemanden gehabt, der ihr in der schweren Stunde beigestanden wäre, und auch kein Geld hatte sie, um sich die Hilfe zu bezahlen.
Wie kann ein Cabskutscher mit 14 Kronen Wochenlohn seine Frau und seine fünf Kinder ernähren und die Entbindungskosten für das sechste Kind bestreiten? Gar nicht. Er ist auf die öffentliche Hilfe angewiesen. Wo soll die Mutter niederkommen, da sie ihr Bett doch mit zwei Kindern theilt?
Ein arbeitsloser Schuhmachergehilfe, dessen Kind erst die Diphtheritis überstanden, ist der nächste Familienvater, der hier für seine Frau eine Zufluchtsstätte sucht. Von der Nähmaschine weg kam eine andere Mutter, die in dem engen Daheim drei Kinder hat. Ein Postdiener mit 60 Kronen Monatslohn mußte zu Bett gehen, sein siebzehn Monate altes Kind versorgte der Verein «Lucina», und die Mutter fand in dem Heim Aufnahme. Eine vierköpfige Familie, deren Ernährer 1 Krone 20 Heller im Tag verdient, wenn es gut geht, wohnt in einem Kabinet. In dem einzigen Bett soll die Frau entbinden. Ein Aufseher in einem kaiserlichen Museum, der mit 70 Kronen Monatslohn fünf Kinder im Alter von zwei bis acht Jahren erhalten muß, bittet für seine Frau um Aufnahme, weil alle sieben Personen nur zwei Betten haben. Ein Schuhmachermeister, der mit einem Lehrjungen arbeitet und für drei Kinder zu sorgen hat, weiß sich auch keinen anderen Ausweg... So geht es fort in grauenhafter Folge. Ein Fall schlimmer als der andere, nur wenige darunter sind besser. Die Bedürftigsten müssen zuerst berücksichtigt werden.
Die Hebamme steht dabei, als ich in diesem Elendsarchiv blättere. Immer neue, immer gleich düstere Bilder krystallisiren sich aus den einsilbigen Antworten der Fragebogen. Wieder habe ich so ein Blatt vor mir. «Die?» sagt die nette, freundliche Frau, «die ist ein armer Kerl. Die hat gezittert auf die Schale Milch, die sie bekommen hat. Die muß ganz verhungert gewesen sein.» Ich lese weiter im Fragebogen. Sie war die Frau eines Bäckergehilfen. Ein Bäckergehilfe, der kein Brot hat! Ein Bett, ein Tisch, ein Tafelbett und drei Koffer sind das Mobiliar der Familie, die eben in diesen Tagen den vierten Sprößling bekam.
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Bei den Wöchnerinnen. Der Anstaltsleiter führt mich dann in die Wochenräume. Da liegen sie, die blassen Frauen mit den gelblichen Gesichtern, regungslos in ihren sauberen Betten, und zu ihren Füßen liegen in blauausgeschlagenen Netzkörben die künftigen Mehrer des Elends, die Neugeborenen, sorgfältig beobachtet und behütet von den Pflegerinnen, die lautlos ihres Amtes walten. Ein Schimmer von Glück leuchtet aus den Augen der Proletarierfrauen, da der Arzt zum Bett tritt und die Wünsche jeder einzelnen anhört. Nur Eine beginnt zu weinen. Sie hat schwere Sorge. Ihr zweitältestes Kind ist an Masern erkrankt und liegt hilflos daheim, während sie hier noch fünf Tage ans Bett gefesselt ist. Sie bittet den Doktor, sie ziehen zu lassen. Der tröstet sie, beharrt aber darauf, daß sie ihre vollen zehn Tage in den Wochen liege. «Es wird sich schon eine Nachbarin finden, die sich einstweilen des Kindes annimmt.» – «I kenn’ niemand im Haus. Mir san erst einzogen. Mei Mann weiß sich scho gar kan’ Rath.» – Gäbe es in Wien schon ein kommunales Kinderspital, dann wäre diese Mutter vielleicht schon ihrer Sorge enthoben. So aber liegt sie in Sorge und Qual auf ihrem Lager und sinnt und sinnt den ganzen lieben Tag dem Elend ihres Kindes nach, dem sie doch nicht helfen kann...
Wie im ganzen Hause, so ist auch in der Küche alles peinlich sauber. Die Verwalterin richtet eben den Mittagstisch für die Wöchnerinnen an: eine vielleicht etwas zu dünne Griessuppe, genügend Siedefleisch mit schmackhafter Zwiebelsauce und Erdäpfeln, dazu ein Stück Brot oder eine Semmel. Zubereitet ist alles gut, und die Portionen sind so ausgiebig, daß man satt davon werden kann. Auch davon kann ich mich überzeugen.
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Die Kirche hat einen guten Magen. Da ich mich eine Stunde später durch den Koth der Davidgasse durchgewatet habe und vor der neuen Antonskirche stehe, da muß ich des Kampfes gedenken, den das Heim heute noch mit den Kooperatoren hat. Das Wöchnerinnenheim hat wohl eine geweihte Hauskapelle, die Kinder müssen aber in die Kirche zur Taufe gebracht werden, da die Kooperatoren für jede Haustaufe Zahlung und einen Wagen begehren – Gelder, die das Institut auf der anderen Seite nützlicher verwenden kann und verwenden muß, will es die erbettelten Kreuzer ganz ihrer Bestimmung zuführen: der Pflege armer Wöchnerinnen. Wie leicht könnten die Herren vom Antonsplatz einen Turnus einführen, wonach abwechselnd jede Woche an einem bestimmten Tage einer der Priester hinüberginge? Wie leicht... und doch thun sie es nicht und setzen lieber die armen Kinderchen der Gefahr einer Verkühlung aus. Was würde wohl Christus sagen, wenn er seine Lehre der Menschenliebe in solche Thaten umgesetzt sehen würde, und zwar gerade von denen, deren Pflicht es ist, seine Lehre zu verbreiten und ihm nachzuleben? Die Schriftgelehrten und Pharisäer jagte Christus aus dem Tempel: würde er solche Priester in der Kirche lassen?
Arbeiter-Zeitung Nr. 346 vom 17. 12. 1901
II. Vor und in der Wärmestube.
Einen Tag obdachlos, arbeitslos und hungrig sein, so wie die anderen... das wollte ich mitmachen. Ich zog mir also wieder einmal meinen Elendsfrack an und pilgerte in den X. Bezirk hinaus. In dem müden, trägen Schritt eines Menschen, der nach vergeblicher Arbeitssuche heimkehrt, oder dem Heimatgefühl des Obdachlosen folgend, wenigstens in den Bereich des Bezirkes zurückstrebt, wo er – der nun Obdachlose – seine letzte ständige Wohnung hatte, in diesem Schritt schleiche ich die Himbergerstraße hinauf bis zum Bürgerplatz. Dort beginnt die Puchsbaumgasse, an deren Ende mir das Ziel winkt: eine Schale Suppe und ein Brot. Mir und den anderen, die das Elend zwingt, die gleiche Straße zu wandern. Ein Tramwaykondukteur in neuem Uniformmantel kommt mir entgegen: ein großer, stattlicher Mann mit kurzgestutztem, schwarzen Vollbart. Auch ein Proletarier! Bis dahin habe ich in einem Tramwaybediensteten nie etwas anderes gesehen. Und jetzt lerne ich plötzlich... nicht etwa nur begreifen, nein fühlen lerne ich es, wie begehrenswerth Tausenden die Elendsexistenz eines Tramwaykondukteurs erscheinen muß. So habe ich einen Tramwaymann noch nie vorher gesehen... so, als Menschen, der in halbwegs geordneten Verhältnissen lebt, warme Kleider hat und nun nach dem Essen – es ist etwa halb 12 Uhr – die Pfeife im Mund in den Dienst geht. So nie! Kann das Kleid, in dem ein Mensch steckt, so starke Vorstellungen erwecken, daß man nicht mehr nur denkt, sondern fühlt, empfindet, so wie Einer, der auch in Lumpen gehüllt ist? Ist es der Hunger, der diese Empfindungen zeugt? Die Schale Thee, die ich am Morgen genossen habe, hat meinen Magen wahrlich nicht beschwert, und seither sind fünf Stunden vergangen. Ich fühle, wie von dem anderen Wohlbehagen ausströmt, das Wohlbehagen des Gesättigten. Dieses Gefühl drückt mich nieder, mich, den Hungrigen. Ich verlasse das Trottoir, auf dem der andere breit geht, und stapfe auf dem Lehmboden des Straßengrundes weiter. Da ist mein Platz. Bin ich schon elendsscheu geworden wie die anderen alle?
Kopfhängend schleiche ich weiter und ringe nach dem Ausdruck für meine Empfindungen. Nach einer Erklärung suche ich. Ich bin schon ziemlich weit oben in der sanft ansteigenden Straße, als das Leben mich aus meinem Sinnen reißt. Zweihundert Schritte vor mir sehe ich eine Mädchenschaar, eine unbestimmt formirte Masse zunächst, und je näher ich nun komme, desto klarer wird es mir. Der Schwall von einigen hundert Kinderstimmen dringt an mein Ohr. Jetzt hören zur Rechten die Häuser auf, ein grasbewachsener Platz liegt vor mir und mit ihm das Ziel meiner Wanderung. Mitten auf dem welligen Wiesenplan, der den stolzen Namen «Puchsbaumplatz» trägt, steht ein ebenerdiger Rohziegelbau: die Wärmestube. Einige vergitterte Fenster, dazwischen eine Thür mit einer Ankündigungstafel aus Blech darauf und am rechten Ende wieder eine Thür. Darauf steht: Eingang für Männer. Das alles sehe ich erst später. Jetzt ist meine ganze Aufmerksamkeit von den Kindern in Anspruch genommen. Zu beiden Seiten des Hauses hat das Elend lebende Flügel angebaut. Links einen farbenbunten Flügel zerlumpter Mädchen, rechts einen, gebildet von einer Knabenschaar, die im Kampfe ums Brot hin- und herwogt. Die Stärkeren behalten hier Recht – wie überall. Anders bei den Mädchen. Da müssen sich die Vordersten nicht gegen den vorwärtstreibenden Haufen stemmen, wie drüben die zwei Buben, die in der ersten Reihe stehen. Die Mädchen warten geduldig und ziehen nur ihre wollenen Tücher fester an, oder sie binden die Kopftücher enger, als nun der Sturm über den Platz fegt und ihnen Sandkörner und Schmutz ins Gesicht wirft.
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Der Kampf ums Brot. Ich lehne mich an die Mauer rechts von der Hauptfront des Hauses neben einige noch nicht zwanzigjährige Burschen, die hier Posto gefaßt haben. Sie sehen gleichmüthig dem Kampf der Buben zu. Bis um halb 2 Uhr ist die Ausspeisung der schulpflichtigen Kinder. Um 12 Uhr beginnt sie. Viel kann nicht mehr dahin fehlen. Immer stürmischer wird ja die Schaar und immer kräftiger müssen sich die beiden Jungen in der vordersten Reihe dagegen stemmen. Jetzt fliegt es freudig durch die Schaar. «Die Madeln kumm’n schon dran!» Die Ausspeisung hat begonnen. Einen Moment scheint es, als sei strammste Disziplin in der Schaar. Eng aneinandergepreßt stehen regungslos die Buben. Der Herbergsvater ist auf die Straße getreten. Der erste Schub Mädeln ist in dem Männereingang verschwunden, und die Buben wissen aus der täglichen Erfahrung, daß nun auch sie schubweise darankommen werden. Sie kennen den Hausbrauch. Wirklich wendet sich auch der Mann in der weißen Barchentjacke nun zu den Buben. Der Sturm fängt sich in seiner weißen Schürze, die er vorgebunden hat, und peitscht sie flatternd zwischen seine Beine. Die Kinder halten dem Wüthen des Elements Stand. Zwei Schritte seitlich vom Eingang hält der Zug der hungrigen Buben. Der Verwalter tritt vor die ersten zwei und überfliegt prüfend die Schaar. Seine rechte Hand liegt leicht auf der Schulter des Vordersten. Ein Fingerdruck gegen die Thür zu, ein «Vorwärts!» und die Mauer rückt vor. Die ersten zwei gehen ruhig, die nächsten ungeduldig und die dritten, von rückwärts geschoben, schon stürmisch gegen die Thür vor. «Halt!» Die Schaar steht. Enttäuscht blicken die zwei Vordersten den letzten Glücklichen nach, die nun in der Thür verschwinden. Sie stolpern in der Hast mehr darüber. «Vorwärts! Vorwärts!» drängt der Herbergsvater die letzten. Dann schließt er wieder die Thür.
Kaum ist er verschwunden, kommt wieder Leben in die Schaar. Die Neukommenden müssen sich rückwärts anstellen. Sie drängen nach vorn, die Vordersten stemmen sich gegen sie... das alte Spiel. Aber nicht alle sind so geduldig. Von beiden Seiten stürmen Buben an und suchen sich in den lebenden Wall zu drängen; die Stärkeren machen den Kleineren die Plätze streitig. Dabei wird es den Kindern warm, auch denen in Holzschuhen und den Bloßfüßigen. Es sind viele darunter. Wer aber Schuhwerk hat, dem schauen die Zehen heraus, oder die Schuhe sind ihm zu weit, oder aber die dünnen Sohlen der hohen Damenschuhe, die hier ein Junge an den Füßen hat, sind durch. Er stampft, um sich zu erwärmen. Neben ihm steht ein kleinerer Junge, ein prächtiger Bub’. Wild wie ein junges Füllen, gelenkig wie ein Eichkätzchen und keck wie ein Spatz – so wehrt er die Angriffe ab, die ein größerer gegen ihn richtet, um seinen Platz zu erobern. Viermal hat er ihn schon aus der Schaar gerissen und ebenso oft hatte der Knirps sich seinen Platz zurückerobert. Mit allen Finessen eines tüchtigen Ringers und mit dem kecken Wagemuth eines Menschen, der nicht gewohnt ist, Unrecht kampflos zu erleiden, hatte er den Größeren immer wieder weggerissen und sich an seinen Platz gestellt. Jetzt ist er wieder einmal mit ihm fertig geworden. Seine Wangen sind hoch geröthet. In kurzen Stößen athmet er.
«I sag d’r’s, spiel’ di net, i hau’ di um d’ Erd’ daß d’ gnua hast.» – «Du? Wem willst denn um d’ Erd’ hau’n? Wem? Du, du Nasen du...» Der Größere fährt ihm mit dem Zeigefinger von unten herauf über die Nase. «Fahr’ a da, i sag d’r’s,» droht der Kleine wieder. Da packt ihn schon der Große, und wie im Wirbel drehen sie sich einigemale herum. Jetzt wälzen sie sich auf der Erde. Der grüne durchlöcherte Lodenhut des Kleinen kollert neben sie. Der Große bleibt Sieger. Ehe der Kleine wieder auf den Beinen ist, hat er sich in die Reihe geschmiegt. Der Knirps packt seinen Hut, schiebt ihn unter den linken Arm und stürmt auf seinen Gegner zu. Ehe der sich versieht, hat er ihm den Hut vom Kopf gerissen und in die Luft geschleudert. Der Sturm bläst eben mit vollen Backen über das Feld. Der Größere überlegt kaum eine Sekunde. «Ui, g’freu’ di!» Damit jagt er fort, dem Hut nach, mit dem der Wind auf dem Pfützengrund der Straßen, die das Feld begrenzen und durchziehen, sein Spiel treibt. Mit dem nächsten Schub ist auch der tapfere Kleine an der Futterkrippe.
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Lueger, was is’s mit der «Marie»? Wir Männer sind auf die Straße getreten und beobachten von hier das Kampfspiel der Buben. Der Kampf der Buben bringt auch uns näher. «Dö Kinder, wann s’ nur bei all’n ihna Hetz hab’n» – so bahne ich ein Gespräch mit dem mir zunächst stehenden Elendsbruder an. «Wenigstens g’frieren s’ net an, da heraußt bei der Kälten!» – «Da hast d’ recht. Im Winter werd’n s’ es erscht g’spürn, dö Kinder. So a Stund’ stehn um a Schalerl Supp’n! Dö wiss’n a schon, was das Leb’n haßt.» – «’s hat a schon zwa Stund’ dauert, bis alle Kinder a’g’speist waren. ’s Elend is halt zu groß.» – «Oder sag’ m’r so: Die Wärmestub’n san z’klan. Da sollt’ do a g’heizter Warteraum sein, in dem si alle Kinder ansammeln könnten. ’s thät uns a wohl, wann uns der Wind net so durchblähdern thät.» – «Platz war’ eh gnua auf dera Stanerwiesen.» – «Platz schon,» mengte sich jetzt ein Dritter, ein Vierziger mit blondem Schnurrbart, ins Gespräch, «aber halt die ‹Marie›». – «Ja, müaß’n denn alles die reichen Juden mach’n?» falle ich ihm ins Wort, «mir leb’n do Gott sei Dank in aner christlichen Stadt. Soll der Herr Lueger mit der ‹Marie› aussirucken. Für dö armen Hund, dö in d’ Wärmestub’n gehen, is a jeder Kreuzer guat ang’wendt.»
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Verpflegsstation: Wien. «Hör’ m’r auf mit’n Lueger,» ergreift jetzt wieder der erste, der eine Brauerkappe trägt, das Wort. «Seit’n November renn’ i scho alle Tag in d’ Arbeitsvermittlung und hab’ no ka G’schäft.» – «Was bist d’ denn?» – «A Binder. Bei mein’ G’schäft is nix, dös waß i a – aber i nimm do, was ’s is – aber net an anzigen Platz hab’n s’ m’r no geb’n.» – «Wie is ’s denn mir gang’n?» erzählt der Blonde, «in ganzen Summ’r hab’ i ka recht’s G’schäft net kriagt, bis i auf d’ ganze Weanastadt pfiff’n hab’ und furtgang’n bin.» – «Wo warst d’ denn?» – «Heunt kumm i von Korneuburg.» – «Ah, bist d’ auf d’r Walz?» – «Was denn? Was hab i denn da herin? Soll i vielleicht zu die ‹Böhmischen› oder zu die ‹sieb’n Schaffeln› papeln geh’n um a Klostersupp’n? Ka urndliche Arbeit gibt’s ja net.» – «Warum bist d’ heut denn einakumma?» –«I ras ja Na’mittag scho wieder weiter. Auf Mödling. Jetzt hab i dö Seit’n scho wieder frei. I hol’ m’r nur mei Supp’n und dann geh’ i. I hab’ in der Weanastadt nix mehr verlurn. Zwaazwanz’g Jahr hat s’ mi für Narrn g’halten.» – «Alser, da is dö Wärmestub’n so g’wiß quasi d’ Verpflegsstation Wien?» – «Da hast d’ eh recht. Da gibt’s wenigstens a Erbsensupp’n, und du brauchst kann ‹Taxameter›. Und beim Magistrat wirst d’ höchstens verschütt’.»
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Hunger und Prügel. «Geht’s denn net furt von da, Bub’n, hint’ anstell’n. Druckts da net von der Seit’n eini.» Der Verwalter ist wieder einmal mit den Buben beschäftigt. Aengstlich wie die Schafe in der Herde, drängen sich die Kinder zusammen. Einer steht außerhalb der Linie. Der Verwalter zieht ihn weg, gibt ihm einen Klaps auf den Hintern, einen kleinen «Schupfer» und ruft dabei: «Hint’ anstell’n hab’ i g’sagt.» Der Junge läuft davon.
Bei der Drängerei, die es während dieser Szene gibt, wird ein etwa vierjähriges Büblein ausgestoßen und steht nun hilflos neben der Schaar. Da kommt ein zwölfjähriges Mädel mit einem Kinde am Arm auf ihn zu, reißt ihn am Rockkragen weg und herrscht ihn an: «Mit dir hat m’r allerweil sei G’frett.» Dabei stößt sie ihn mit ihrem Knie in den Rücken und so vor sich her. «Nimmermehr nimm i di mit. Lass’ di net aussidruck’n. Nachher blatzt ’r...» Puff um Puff trifft den Rücken des armen Kindes, das zu schwach ist für diesen Kampf ums Brot und nun kläglich weint. Die Wuth der Aelteren wird dadurch noch gesteigert. «Was blatzt d’ denn? Durt stell di hin.» Sie zerrt ihn wieder zu der Bubenschaar und stellt ihn seitlich an. Dann geht sie rasch weg. Eine Sekunde lang steht der weinende Bub da, dann läuft er ihr nach. Sie hat sich mittlerweile mit dem zweiten, etwa zweijährigen Kinde, das sie am Arm trägt, zu der Mädchenkolonne begeben. Auch sie muß ja zur Schule, und es ist schon 1 Uhr. Verzweifelnd stößt sie den Buben weg. Es nehmen sich nun einige Weiber seiner an. «Was stößt denn dös Mensch den Buam so? Is dös a ‹G’hörtsi?› Kumm her da, Klaner. Da stell’ di her.» Eine vermummte Elendsschwester schickt ihn in die erste Reihe der Buben, und da der Verwalter kommt, legt sie ein gutes Wort für den Buben ein. «Die Klan’ kumm’n später, jetzt kumm’n nur Schulkinder d’ran.» – «Machen S’ mit dem halt a Ausnahm’,» menge ich mich ins Gespräch – «er is so g’schreckt und sei’ Schwester haut ’n no’.» Dabei schiebe ich den Jungen in die Reihe, und er ist endlich erlöst von seiner Pein.
Gleich darauf bekommt ein anderer Junge, der stürmisch vorwärtsdrängte, vom Verwalter einen Schlag auf den Rücken. «Was hab’ i denn than?» – «Schau, daß d’ weiter kummst und kumm m’r nimma zua... Vorwärts! Halt!» Diese beiden Kommandos gelten schon wieder der Schaar. Kurz ist die Justiz! Der Ausgestoßene geht heulend zur Mädchenseite hinüber. Vielleicht hat er dort seine Schwester stehen, der er sein Leid klagen will. «Da g’hört a Regiment dazua zu die Bub’n. Wie’s nur Staner schmeiß’n, dö Mistbub’n.» Dieser Ausruf des Verwalters gilt einigen Buben, die sich abseits auf dem schönsten öffentlichen Platze Wiens, dem Puchsbaumplatz, mit Steinwerfen die Zeit bis zur Suppe vertreiben. «Da brauchet m’r den Glaserer alle Tag im Haus.» Damit verschwindet er wieder in der Thür.
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Kleine Bilder. In der Kudlichgasse, die den Platz zur rechten Seite abschließt, ist ein Kohlenwagen stecken geblieben. Gleich darauf versinkt ein zweiter Wagen, der von schweren Pferden gezogen ist, in dem Lehmgrund. Was sich auch die Pinzgauer mühen, es ist umsonst. Sie heben den Wagen, der hochauf mit Brettern beladen ist, wohl aus der Lehmfurche, aber weiter geht es doch nicht. Eine rasche Verständigung, und die beiden Kutscher helfen einander aus. Diese Szene lenkt die Aufmerksamkeit meiner Kameraden von der Wärmestube und den Kindern ab und sie reden nun von ihren Erfahrungen und Beobachtungen, die sie mit Pferden und auf den Wiener Straßen gemacht haben. Jeder von ihnen war schon Kutscher. Auch der Binder. Er ist in Diensten des städtischen Gaswerkes gefahren und gibt freudestrahlend eine Erinnerung zum Besten. Auf dem Geiselberg in Simmering hatte er einmal auf Aufforderung eines «fein gekleideten Herrn» Vorspanndienste geleistet und dafür zwei Gulden Trinkgeld erhalten. Das war ein Leben! Das hätte er alle Tage brauchen können zu seinem «Gulden zehn Kreuzer» Lohn, den er von der Kommune Wien erhielt.
Gleich darauf belebt sich der Platz mit Ochsen. Durch das äußerste Favoriten werden die Ochsen vom St. Marxer Viehmarkt wahrscheinlich hinüber in das Meidlinger Schlachthaus getrieben. Und gerade diesen schönen Platz quert die grundweiche Straße, auf der das Vieh vorübergetrieben wird, an Montagen wenigstens, und heute ist Montag. Wie wenn sich eines aus der Herde einmal loslöst und gegen die lärmende Kinderschaar anstürmt, die dort im Kampf ums Brot zwei Stunden lang ausharrt? Ist das die geeignetste Viehtriebstraße, wenn man das Vieh überhaupt durch die Straßen der Stadt treiben muß? Kennen denn die Herren im Magistrat so gar nicht die Stadt, die sie verwalten sollen, oder dünkt ihnen die Verantwortung so leicht, weil es – nur Proletarierkinder sind, die von den Ochsen gespießt oder niedergetreten werden könnten? Hoffentlich schaffen diese Zeilen Wandel, ehe noch die Korrespondenz Wilhelm einen solchen Unfall melden muß, für den dann natürlich nur die Ochsen von St. Marx verantwortlich wären.
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In drangvoller Enge. Endlich ist die Kinderschaar befriedigt. Hinter dem letzten Schub hat sich die Thür geschlossen und nun stürmen von links die Weiber, von rechts die Männer an. Der Verwalter öffnet die Thür. «Z’erst kummt a Partie Weiber, dann kummen Männer. An’ Gang frei lassen!» Er steigt von der Thürstufe herab und geht in gerader Richtung in den Haufen. Vor seinem Schritt öffnet sich eine Gasse. Wir weichen zurück, um den Gewaltigen nicht zu erzürnen. Wenn er auch im allgemeinen einen guthmütigen Eindruck macht und seine handgreifliche Ordnungsmacherei unter den Kindern nicht allzu streng beurtheilt werden darf, in Konflikt möchte keiner mit ihm kommen. Wir drücken uns also noch mehr zusammen und stehen festgepreßt wie die Häringe. Ein Dunst von alter Wäsche und alten Kleidern sammelt sich über uns. Mein Hintermann zur Linken wird unruhig. Er ist ein runzeliger Alter. Sein weißer Kaiserbart erzählt mir von seiner patriotischen Vergangenheit. «Drängts net gar so, m’r kann si ja gar net mehr rühr’n.» – «Wenigstens is ’s warm. I bin scho urnd’tli ausg’frur’n,» antworte ich ihm. – «Ja, warm is ’s schon, aber i steh’ do net gern so gedrängt, m’r kann zu leicht was kriag’n.» – «Na, so g’fährli wird ’s do net sein?» – «I wünsch’ d’r ’s net, was i da scho kriagt hab’,» klärte mich der Binder auf, «i net. I hab’ g’laubt, mei’ Bettfrau frißt mi’, wia i amal von da zwa z’haus ’bracht hab’. Wann m’r da net g’schwind dazuaschaut, bringt m’r s’ a glei net weg a...»
Dann kommt die Rede auf das Lieblingsthema aller Arbeitslosen, auf den Schnee. «Der Wind bringt nix Guats. Wir kriag’n an Regen», prophezeit der eine und der andere denkt dabei gleich mit Schrecken an sein schlechtes Schuhwerk: «Fix Laudon, meine Schlapfen san eh scho wia a Nudelsieb.» – «Wann nur an Schnee kummet», wünscht jetzt ein Tscheche, «wann nur kummet vur Neujahr, dann mecht me wieder wünsch’n geh’n. Harrgott, vurig’s Jahr, da hob mes schön truf’n. Da sans mi wünsch’n gang’n als Straßenkiehre von ane Wirthshaus ins and’re, und g’suff’n hab me! G’suff’n! Do an halben Liter, durt an Viertel, na daß höche nimmer gett! Su an Rausch hab i scho lang net g’habt.» Ein breites Lachen freudigsten Zurückerinnerns umspielt seine Lippen.
Der Binder erzählt, wieso er eigentlich so heruntergekommen ist. Er war im Sudhaus einer Brauerei untauglich geworden, da er die große Hitze nicht mehr ertrug, und war dann zum Verladen verwendet worden. Dabei holte er sich den Leck fürs Leben. Er ist tuberkulos. «Da fehlt’s!» Damit klopft er auf die Brust, «das Beuschl is hin. Wann i heut’ so a schwere Arbeit machen müßt, wo kommet i da hin. In vier Wochen wär i auf der Pritsch’n.» Etwas später bekommt er einen Hustenanfall und überschüttet uns mit dem Bazillenregen. So kommt die Tuberkulose ins Volk.
Gut eine halbe Stunde stehen wir schon in drangvoller Enge und das Thor will sich nicht öffnen. «Wia lang die Weiber wieder brauch’n. Mir war’n scho längst wieder alle heraust.» – «Wir hab’n aber do a kane Kinder mit. Hast die Weiber g’sehn? Mit vier, fünf Kinder san s’ einigang’n. Bis die alle abg’füttert san, dauert’s a Weil’.» – «Na, aber gar so lang braucht’s net z’ dauern. Mir hängt scho der Mag’n aussi. I hab’ seit Korneuburg kann Biss’n drunt.» – «Tröst di, mir geht’s a so. I g’freu’ mi a scho auf den Bims... Du wannst du früher aussakummen solltest, wartst auf mi. I geh mit dir nach Mödling.» – «Is m’r recht, brauch i net allan z’hatschen,» sagt darauf der blonde Walzbruder, und unser Bund ist geschlossen.
Diesen gereisten Mann konnte ich gut für meine Laaerbergstudien, die ich noch für dieselbe Nacht vor hatte, brauchen, nachdem mich die zwei «Werkhäusler», die mir als Führer dienen wollten, hatten aufsitzen lassen.
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Hunger! Es war mittlerweile halb 3 Uhr geworden. Mein Magen grollte schon erbärmlich ob der Vernachlässigung. Endlich öffnete der Verwalter die Thür und wir wurden eingelassen. Wir stolpern über die Stufe in das Innere der Wärmestube. Nach zweieinhalb Stunden Stehen im Freien, ganz durchfroren und angeflogen von dem Dunst des Elendshaufens – endlich Wärme und Suppenduft, der den Raum erfüllt. O, ihr theuer erkauften Genüsse! Das thut wohl! Mit gutem Humor erwarten wir nun, bis die Reihe an uns kommt. Nochmals Gedränge. Der Verwalter hat alle Männer hereingelassen und nun ist die eine Hälfte der Wärmestube, der Männerraum, von uns ausgefüllt. Kopf an Kopf, Leib an Leib stehen wir. Der Verwalter stellt sich auf unsere Seite der runden «Budl», die den Koch- und Manipulationsraum von der eigentlichen Wärmestube trennt, und langt in den Berg von Brotstücken, der vor ihm auf der «Budl» aufgehäuft ist. Er scheint mir nun ganz ein anderer als früher draußen. Sein «Vorwärts! Vorwärts!» klingt nun so freundlich. «Vorwärts nachanand, daß was weitergeht!»... Ein Kind schreit drüben in der Frauenabtheilung, in der sich nur mehr wenige Frauen befinden. «Was is ’s denn mit dem Kind!» Er wird schon wieder nervös... «Da herin därf m’r net schrein...» schreit er hinüber. Die Mutter ist ängstlich bemüht, den zweijährigen Schreihals zu beruhigen. Sie gibt ihm aus dem weißen Häferl, in dem sich die lichtbraune Erbsensuppe befindet, zu trinken. Das Kind schweigt.
Ich bin mittlerweile in die erste Reihe vorgerückt. Hinter dem rundlichen Anrichttisch sehe ich die großen Weißblechhäfen voll mit der lichtbraunen Suppe, die so köstlich säuerlich duftet. Zwei Frauen füllen Häferl um Häferl und stellen es auf die Budel vor sich. Jetzt reicht auch mir der Verwalter einen Happen hin – das Endstück eines Brotweckens. Ich lange danach, murmle mein «Gelt’s Gott!» und gehe nun in den Frauenraum hinüber. Auf dem Wege dahin nehme auch ich wie die anderen mein Häferl mit Suppe. Sie ist schon sehr ausgekühlt und ich kann sie sofort trinken. Ich geselle mich zu dem Walzbruder, der seine Suppe in großen Schlucken schlürft und dazu unglaublich schnell sein Brot hinunterwürgt. Da ich kein Messer bei mir habe, mit dem ich das Brot zertheilen könnte, trinke ich meine Suppe aus und gebe das leere Geschirr einem jungen Burschen, der es einsammelt. Eben will ich mich daranmachen, den ersten Bissen Brot in den Mund zu schieben, als schon ein Gehilfe des Verwalters zum Aufbruch mahnt. «Vorwärts nachanand. Wer austrunken hat, geht.» – «Gehn m’r?» – fragt mich der Walzbruder. – «Gehn m’r halt, wann m’r si scho in der Wärmestub’n net warmen kann.» Resignirt füge ich mich in mein Schicksal. Draußen stehen ja noch Frauen und Kinder, die auch hereinwollen...
Uns schließt sich ein Dritter an. Da er sieht, wie ich mich mit meinem Brot plage, zieht er sein Messer heraus und stellt es mir zur Verfügung. «Hast du dei Brot scho ’gessen?» frage ich ihn, da er keines mehr in Händen hat. – «Na i bring’s meinen Kindern ham. Dö warten scho.» Ich schneide mein Brot in zwei Hälften. Die eine reiche ich ihm mit dem Messer. «Da hast für deine Kinder!» Der andere langt gierig danach...
Meine Rolle ist zu Ende gespielt. Als ich nun Arm in Arm mit dem Walzbruder über den Wiesenplatz gehe, kläre ich ihn auf. «Ich bin nicht der, für den ich mich ausgegeben habe, ich wollte nur einmal sehen, wie es euch armen Teufeln wirklich ergeht. Ich möchte noch heute Nachts die Obdachlosen auf dem Laaerberg aufsuchen. Wollen Sie mich begleiten?» – «Ja, warum denn net,» sagte er einfach, und wir schlagen die Richtung zum Laaerberg ein, um das Terrain noch zu rekognosziren, ehe es dunkel wird.
Arbeiter-Zeitung Nr. 350 vom 21. 12. 1901
III. Die Obdachlosen.
Es dunkelt bereits, als wir von unserer Rekognoszirungstour um und auf dem Laaerberg wieder beim Ende der Himbergerstraße anlangen. Der Sturm hatte mit furchtbarer Gewalt gewüthet. Beim Abstieg begegnet uns ein Wäscher, der, den Wind im Rücken, mit seinem Händekarren flott vorwärts kommt. Ein kleiner Bub läuft neben dem Wagen und hält sich an der Seitenstange an. So sehr dem Wäscher der Sturm nützt, uns hat der Kampf gegen den Sturm heiß gemacht, und unsere Augenwinkel sind von dem Favoritener Staub und dem Sand des Laaerberges, der namentlich über den senkrechten Hang der «Kothbauerg’stetten» herauffegte, wie angeklebt. Die Kothbauerg’stetten liegt gegen Simmering zu. Dort ist der Abhang des Hügels abgegraben und zu Staub zerbröselt worden. Etwa zwanzig Meter hoch fällt der Bruch senkrecht ab. Unten ist ebenes Terrain. Ein nach allen Seiten offener Schuppen, in dem Pfosten und Bauhölzer aufgeschichtet sind, liegt links neben der Straße, auf der die schweren Truhenwagen in die «G’stetten» einfahren. Alles liegt wie verlassen da. Todte Saison! Und doch wird es hier zu gewissen Stunden sehr lebendig. Wenn finstere Nacht sich über die Gefilde senkt, bleischwer die Wolken über der schlummernden Erde lagern, dann kommen sie heran die Ausgestoßenen der menschlichen Gesellschaft, die Verunglückten, die Entgleisten und jene, die eigentlich nie auf dem Geleise, die immer «auf der Rutschen» waren. Hieher kommen sie und suchen auf den Balken oder sonstwo sich ihr Bett zurecht zu machen, so gut es geht. Vor drei Wochen meldete mir einer meiner Vertrauensmänner aus der Wiener Elendsarmee, daß dort in der «Kothbauerg’stetten» Nacht für Nacht etwa vierzig «Werkhäusler», die das Hausverbot haben, unterkriechen, um wenigstens Schutz gegen den Regen, wenn schon nicht gegen die Fröste, zu finden. Nun trennen mich nur mehr Stunden vor der Begegnung mit diesen Unglücklichen...
Mein Führer und ich berathschlagen in einem «Sechs Kreuzer-Cafe» unseren Kriegsplan. In der Wärme der Kaffeekneipe überkommt mich ein unüberwindliches Ruhebedürfniß. Ich muß, will ich in den späteren Abend- und ersten Nachtstunden für die Eindrücke, die mich erwarten, aufnahmsfähig sein, ein wenig ausruhen. Mein Führer muß also in eine Branntweinschänke vorausgehen und ich will in der Zwischenzeit irgendwo meine Glieder strecken. Ein Favoritner Parteigenosse bietet mir den ersehnten Ruheplatz. Der blonde Walzbruder soll einstweilen die Gesellschaft in der Schänke auskosten und eine Partie zusammenstellen, die bereit ist, uns in ihr Nachtlager, irgendwo im Freien, mitzunehmen. Es regnet, da wir uns trennen. Pünktlich bin ich um halb 8 Uhr zur Stelle. Mein Elendskamerad ist aber nicht mehr hier. Er hat den «Vorschuß», den ich ihm gegeben hatte offenbar benützt, um im Arbeiterhotel ein Nachtquartier zu finden. Die wenig verlockende Aussicht auf eine Nacht im Freien oder vielleicht irgendwo im Ringofen oder sonst an einem Orte, wo die Obdachlosen unterschliefen, dazu der Sturm draußen und der Regen, der unaufhörlich niederklatscht, muß ihn vertrieben haben. Ich kann es ihm nicht verdenken und operire nun auf eigene Faust.
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In der Branntweinschänke – welche es ist, ist wohl Nebensache – drücke ich mich zunächst still in eine Ecke, stelle mein Glas Bier neben mich und warte auf die Gelegenheit, Freunde zu werben. Eine halbe Stunde mag wohl schon vergangen sein, ehe sich ein Anknüpfungspunkt findet. Mit einer schmierigen Papierspitze im Munde bleibt einer vor mir stehen. Er raucht kalt. «Hast ka Zig’rett’n?» – «Na.» – «Da hast ane.» Damit lange ich in meine Tasche, zerbreche eine Sportzigarette und schenke ihm die eine Hälfte. Er nimmt es als selbstverständliche Aufmerksamkeit hin. Ich scheine also auf den Richtigen gestoßen zu sein. «Wo gehst denn hin pfeif’n heut?» so schlage ich auf den Strauch. – «In Simmeringer Ring ... wegen was?»- «Na so, weil i a no net waß, wo i heut pfeif’n soll. Wo is denn der?» – «Bist leicht a Baldower1)?» – «Da brauchst ka Angst net z’haben, aber (ich überlege einige Sekunden) – weil S’ scho frag’n, i hab’ a b’sonders Interesse d’ran, amal mit euch a Nacht zuzubringen.» – «San sö vielleicht der Herr von der Wärmestub’n?» – «Ja! I hab mi da z’sammb’stellt mit an, aber er is nimmer da, so viel i siech’, jetzt muaß i m’r selber a Platt’n z’sammstell’n.» – «Er hat’s eh dazählt. Vur aner Stund is ’r weggang’n.» – «Hat ’r net g’sagt wohin?» – «Na, gar nix hat ’r g’sagt.» – «Er wird zum Brzezowski ’nauf sein ins Massenquartier, weil ’r murg’n auf Mödling rasen will.»
Unser Gespräch bleibt nicht unbelauscht. Ein anderer Elendsbürger tritt hinzu, und die (nun schon ganze) Zigarette, die ich ihm reiche, macht auch ihn mir zum Freund. «Sö war’n ja z’ Mittag mit’n Mader in der Wärmestub’n. I hab’ do mit Ihna g’redt.» – «Schlaf’n Sö a im Ring?» – «Da werd’n S’ wenig da herinn’ finden, dö net außigeh’n.»
Noch ein Dritter und ein Vierter kommt herzu. Auch mein Sitznachbar, der bisher theilnahmslos dem Gespräch gefolgt war, bietet sich freiwillig an, sich der Expedition anzuschließen. Bald weiß es jeder im Saal, wer der einsame Gast ist, und nun finde ich auch alte Freunde, Proletarier und Lumpenproletarier, die meine früheren Elendsschilderungen gelesen hatten und die mich nun direkt herausfragen, ob ich der bin, der damals im Werkhaus und erst neulich im Polizeiarrest war. Das weitere entwickelt sich ohne Schwierigkeiten. Was ein paar «Bandln» Cervelatwürste, ein Laib Brot und einige Liter Bier für Wirkung haben gegenüber einem Haufen Hungriger, das kann ich wieder einmal erproben. Einer geht um die Würste. Ehe er es sich versieht, hat er alle ausgetheilt. Von allen Seiten strecken sich ihm die Hände entgegen. Mit der zweiten doppelt so großen Partie geht es ihm gerade so. Wieder steht er selber ohne Wurst da. Erst bei der dritten Partie bleibt auch ihm eine «Safaladi». Dazu Bier und Brot und dann eine «Spurt»... Die Gesichter der armen Teufel glänzen. «Heut habts wieder amal Kirtag!» So zeichnet der Schankbursch hinter der «Budl» die Situation und lacht breit dazu, mit seinem Fürtuch den Blechbeschlag des Schanktisches reinigend. «So an Kren könntets alle Tag’ brauch’n.» Zustimmend nicken meine Elendsbrüder. Einer versteigt sich gar zu einem Kompliment. «’s is eh selten, daß m’r an Menschen find’t, der si a um uns kümmert.»
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Das Dilemma der Arbeitslosen. Damit sind sie warm geworden, und jeder weiß mir ein Stück aus seinem traurigen Leben zu erzählen. Fast alle klagen über die zunehmende Arbeitslosigkeit und über – das Ausbleiben des Schnees. «Was thät’n Sö an meiner Stell’?» wendet sich ein verhungert aussehender Mann zu Ende der Zwanzig an mich, der mir schon früher durch die Nettigkeit seiner Kleider aufgefallen war. – «Was thät’n Sö? Seit sechs Woch’n bin i ohne Arbeit, und dös will mei Frau gar net begreif’n. ’n ganzen Tag renn i m’r d’ Haxen aus – nirgends a G’schäft, wo ’s sunst do allerweil um dö Zeit guat war.» – «Was san S’ denn?» – «A Schneider. Wann i ham kumm, dann fallt no mei Alte über mi her und sagt, daß i mi net gnua umschau. Da geh’ i liaber da her und bleib’ a paar Stunden da, daß i ihr Reden net hör’.» – «Sie müßten halt einmal vernünftig mit Ihrer Frau reden. Sie müßten ihr sag’n, daß es für beide besser ist, wenn Sie Abends nicht zum Branntweiner gehen, und ihr erzähl’n wie’s ausschaut mit der Arbeit.» – «Aber sie glaubt m’r’s net.» – «Wann Sie nur ordentlich mit ihr reden, so muß sie’s glauben, und sie muß auch einsehen, daß Ihner Platz z’ Haus und net da beim Branntweiner is. Hab’n Sie Kinder?» – «Ja, zwa.» – «Verdient Ihre Frau etwas?» – «Sie is Maschinnahterin. Mehr als 4 fl. in der Woch’n schaun dabei net aussa.» – «Also geh’n S’ z’ Haus. Sag’n S’ ihr, es is um jeden Kreuzer schad’, den S’ zum Branntweiner trag’n und red’n S’ vernünftig mit ihr.» – «’s G’scheiteste is eh, wann sie’s nur glaubt.» – «Na lesen Sie’s ihr halt aus der Zeitung vor. In der ‹Volkswacht› und ‹Arbeiter-Zeitung› haben Sie alle Tage fast Artikel, die von der Arbeitslosigkeit erzählen. Wann sie’s schwarz auf Weiß sieht, wird sie es schon glauben.»
Fünf Minuten später war der Mann aus der Kneipe verschwunden. Wird ihm seine Frau nun glauben, daß die Arbeitslosigkeit wirklich einen so großen Umfang angenommen hat? Daß nicht ihr Mann, sondern die Krise daran schuld ist, wenn er keine Arbeit findet? Vielleicht fallen ihr und anderen Frauen, die in schwerer Frohnde die Scheinexistenz der proletarischen Familie aufrecht erhalten müssen, diese Zeilen in die Hand, und sie mögen dann aus der aufrichtigen Klage dieses Arbeitslosen die Lehre ziehen, daß die Frau nicht den Mann für das Elend verantwortlich machen und dadurch, daß sie ihn in die Kneipe treibt, dieses Elend noch vergrößern darf, sondern daß sich ihr ganzer Unmuth gegen eine Gesellschaftsordnung wenden muß, die jene, die alles schaffen, zum Hungern verurtheilt. Denken müssen die Frauen lernen.
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Meine Führer mahnen zum Aufbruch. Vorerst versorgen wir uns noch mit einer Kerze. Dann verschwinden wir einer nach dem anderen. Um der Polizei nicht aufzufallen, dürfen wir nicht mehr als unser vier, fünf hinauswandern. Wir müssen also die übrigen Gäste täuschen und unmerklich – verschwinden, sonst schließt sich uns vielleicht der ganze Haufen an. Der «Schwarze» schlägt vor, daß wir uns in einer Stehbierhalle wieder treffen sollen. Nur einer geht mit mir: ein Kutscher. Auf dem Wege zur Bierhalle erzählt er mir, daß er schon seit 15. November in der städtischen Arbeitsvermittlung eingeschrieben sei, während dieser langen Zeit aber keine einzige Stelle zugewiesen erhalten habe. Einige Tage sei er aushilfsweise bei einem Schwerkutscher am Staatsbahnhof gefahren. Das war alles. Jetzt hofft der etwa 20jährige Mensch «mit’n Christbamtragen» die paar Sechserln zu erwerben, die er täglich zu seinem Unterhalt braucht. Ich versorge mich noch mit einem halben Hundert Dramazigaretten, und dann treten wir aus dem Regensturm, der auf der Straße tobt, in die Stehbierhalle. Der «Schwarze» und die anderen beiden, der «Gustl» und der «g’flickte Böhm» erwarten uns schon unter dem Hausthor. Eine Minute später stehen wir wieder auf der Straße. Der Geschäftsführer hatte uns nichts eingeschänkt. Mir am Ende noch – «aber für die anderen Herrn hab’ i ka Bier.» Ich begehre auf. «An Liter Bier kriag’n m’r. Is Ihna unser Geld vielleicht net guat gnua... so sag’n S’s.» – «Machen S’ da kane Manöver, i hab’ scho g’sagt. Ihna schenk i ja ein, aber dö Herren müss’n furtgeh’n.» – Meine Begleiter murren. Um einen Zusammenstoß zu vermeiden, wende ich mich zum Gehen. «Kummts, geh’n m’r.» Auf einigen Fässern und Stühlen sitzen Gäste. Arbeiter. Einer trägt eine blaue Blouse. Was er für ein Gesicht macht, sehe ich nicht, ich sehe nur das Antlitz des blattersteppigen Wirthes vor mir, der, an den Eiskasten gelehnt, ohne sichtbare äußere Erregung sich unseres Besuches erwehrt. «...Kummts, geh’n m’r. Er soll sei Bier selber saufen...» Zwei sind schon bei der Thür draußen, die anderen zwei sind in der Thür. Der letzte bin ich. «Pfiat enk g’sund, ös Griasler...» Es ist der letzte Gruß, den wir mit auf den Weg bekommen.
Meine Begleiter sind rasch getröstet. Durch die Pfützen der Quellengasse, die jetzt zum Theil aufgerissen ist, wandern wir bis an ihr Ende und finden dort in einem Gasthaus einen Unterschlupf bis 10 Uhr. Dann ist auch dort Feierabend, und wir treten unsere Wanderung zum Simmeringer Ring an.
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Durch Nacht und Regen führt unser Weg. Der «Schwarze» läßt gleich beim Verlassen des Lokals die Mahnung ergehen: «Jetzt haßt’s Hosen aufstricken. Sunst d’rsauf m’r im Dreck.» Wir überqueren die Straße und beschreiten sofort einen einsamen, finsteren Feldweg, der zum Geleise der Staatsbahn hin und dann diesem entlang bis zu der Zufahrtsstraße führt, die das Simmeringer Ziegelwerk mit den Verkehrswegen der Stadt verbindet. Voran geht der «Schwarze», dann kommt der «Gustl» und der «g’flickte Böhm». Der Kutscher und ich beschließen den Zug. «Acht geb’n! Da rutscht m’r leicht.» – «Um Euch hab’ i ka Angst und um mi a net.» – Sage ich darauf: «Sö werd’n do ka Angst vur uns hab’n?» Mit diesen Worten wendet sich der «g’flickte Böhm» um. Ich kläre ihm das Mißverständnis auf. «Vur euch Federn hab’n? I fürcht’ mi’ vur neamd. Da warts ös do die größten Bestien, wann’s ihr mir was thuan wolltets.» – «Da war m’r kane Menschen mehr!» bestätigte der «Gustl»...
Dann schreiten wir wieder lautlos weiter. Der Regen schlägt mir unaufhörlich ins Gesicht, und da ich doch nicht so trittsicher auf dem unbekannten schlüpfrigen Weg bin wie meine Begleiter, bleibe ich mit dem Kutscher zurück. Auf einmal liegt er da. Er war an einer abschüssigen Stelle des Weges ausgeglitten. Ich rufe den Vorderen zu, ein wenig zu warten. Von dem Bahndamm sind wir durch einen Holzzaun getrennt. Ich folge der geraden Linie der Trace mit meinen Blick und sehe im Meer von Finsterniß weit vor uns das Lichtergewirr eines Stationsplatzes: Station Simmering der Aspangbahn. «Durt müaß m’r dann umigehn am Laaerberg.» – «Also dort erscht? Das is no a schön’s Stückerl.» – «Kane zehn Minuten.» Wir schleppen uns also weiter. Jetzt waren wir wieder alle fünf beisammen. «Seg’n S’, da auffi is die Kothbauerg’stett’n.» Ich sehe nach der angedeuteten Richtung. Rabenschwarze, undurchdringliche Nacht auch dort. Ich kann gar nichts ausnehmen.
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Die Lotterie der Obdachlosen. «Glaub’n S’ schlafen heut a durt an’.» – «Na, heut werd’n s’ alle im ‹Ring› sein. In so aner Nacht! Kann Hund möchte m’r aussijauk’n...» – «Und ös müaßt’s aussi, ob’s wollts oder net. Verdriaßt’s enk denn gar net?» – «Verdriaß’n scho, bei so an ölendigen Sauwetter überanand, in meine Schuach pritschelt scho der Dreck, aber was soll m’r denn anfang’n? Am Samstag (Samstag den 7. d.) hab’n mir 117 draußt übernacht und gestern (Sonntag den 8. d.) 124. Und schöne Leut drunter! Mit Spazierstaberln san zwa aussikummen. Wissen halt a net, wo s’ hingehen soll’n.» – «Habts ihr’s abzählt?» – «Na ja, was will m’r denn thun. Mir haben Wach g’habt weg’n der Schmier und da hab’n m’r’s halt a’zählt. So groß der Ofen is, aner is neb’n ’n andern g’leg’n.» – «Ihr halt’s Wach? Die ‹Schmier› kann euch do nix thuan?» – «Is dös Umanandzahr’n scho’ blöd gnua.» – «Dö Täg’ hab’ m’r’s wieder z’hoffen.» – «So! War’s scho’ lang net da?» – «A paar Woch’n wird’s sei’. Wie s’ damals den Mörder von Stammersdorf g’suacht hab’n, san s’ kumm’n.» – «Den Mörder hab’n s’ bei euch g’suacht? So blöd wird do der net sein, daß ’r in Ring schlaf’n geht.» – «Dös man i a.» – «Wie viel hab’n s’ denn damals mitg’numm’n?» – «Etla zwanz’g! D’ meisten kennen s’ ja. Dö hab’n s’ weiter schlaf’n lass’n.» – «Also dieselbe G’schicht wie überall. Der Arrest ist für die vielen Obdachlosen z’klan, drum lassen s’ s’, wo s’ sind... Fangen s’ da Bestimmte heraus?» – «Na, dös is so wia in der Lotterie. Den an’ packen s’, den andern net. I glaub’, wann der Mörder wirkli so blöd g’wesen war und da aussagang’n war, sie hätt’n ’n liegen lass’n und sein’ Nachbar g’schnabelt. Das is, wia g’sagt, die reine Lotterie!»
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Eine Begegnung. Damit sind wir in die Nähe der Station Simmering gekommen. Hart an dieser Stelle ist die kitzlichste Partie des Weges. Es geht steil bergab zu einer Querstraße und dann wieder auf die Höhe der Felder. Wir rutschen mehr, als wir gehen. Einmal wieder auf der Höhe der Felder, sehen wir etwa zehn Schritte vor uns eine dunkle Masse, die sich fortzubewegen scheint. Lautlos huscht sie durch die Nacht dahin. Auch Obdachlose? Wir kommen an der träge schleichenden Masse vorüber. Es sind wirklich drei Bewohner des Ringofens. Erst auf zwei Schritte Distanz kann ich unterscheiden. Da wir hart an ihnen vorüberkommen, wendet sich der eine Menschenklumpen an uns. «Wer seids denn?» Der Kutscher tritt ganz nahe an ihn heran. Nur Zentimeter trennen die beiden Köpfe. Sie suchen sich gegenseitig im Dunkel der Nacht zu erkennen. Der Kutscher erkennt den andern zuerst: «Serwas, Schani!» – «Ah, du bist’s,» gibt der andere zurück; «das hätt’ i m’r denk’n kinna, daß ’s ös seids.» Ohne Gruß scheiden sie. Der Kutscher kommt wieder zu mir. Wieder ist es todtenstill. Nur die watschelnden Schritte und das von dem unaufhörlichen Regen verursachte Geräusch durchbrechen die Stille der Nacht. Die letzten Häuser liegen schon weit hinter uns. Zurückschauend nach der Richtung, aus der wir gekommen, sehe ich nur undurchdringliches Dunkel. Auch vor mir nur Finsterniß und neben mir. Ich fühle, daß wir jetzt auf Grasboden gehen. Schwarz in Schwarz ist hier die Welt gemalt... Der Weg scheint mir unendlich, und warm wird es mir. Ich lasse den alten Lodenmantel locker, um mir Kühlung zuzuführen. Endlich sind wir knapp vor dem Ziele. An einem Bahndurchlaß vorübergehend, wenden wir uns rechts auf den Laaerberg zu. Ein schlüpfriger Weg an der Böschung und drei Schritte tiefer eine elend geschotterte grundweiche Feldstraße... Patsch! Da bin ich bis über die Knöchel im Koth. «Glei san m’r da!» tröstet mich der Schwarze, der noch immer voranschreitet. Wirklich wird jetzt der Weg besser, er ist hie und da sogar mit Ziegeln ausgebessert. Die Laufgräben sind mit Latten überdeckt. Wir sind im Ziegelwerk. Da ist schon einer der langgestreckten Trockenschuppen, mit dem Spitzdach, das auf hölzernen Säulen aufruht und das glatte Lehmparkett vor dem Regen schützt. Wir gehen den Schuppen entlang. Dann verschwindet der erste unter dem Dache. Er bückt sich, um durchzukommen. «Geb’n S’ acht, daß S’ Ihna net anstöß’n!» Mit dieser Warnung treten auch wir unter das Dach. «Da gibt’s a Menge Balken.» – «I siech’ scho’.» Vorsichtig taste ich mich in gebückter Haltung weiter, um nicht an das Balkengewirre der Dachkonstruktion anzustoßen. Wir sind glücklich durch und springen über einen kleinen Graben auf ein tiefer liegendes Plateau. Noch fünfzig Schritte, und wir stehen vor dem Eingang zum Ringofen.
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Im «Simmeringer Ring». Meine Begleiter haben Halt gemacht. «Da san m’r,» sagt Einer zu mir. «Zünd’ die Kirz’n an!» mahnt ein anderer. Der Rohziegelbau hat gerade an dieser Stelle eine Pforte, besser ein etwa 2 Meter hohes Loch, das das metertiefe Gemäuer durchbricht: Eine Ausscheiböffnung, ein sogenanntes «Störloch». Durch dieses dringen wir in das Innere ein. Der «Schwarze» geht voran. Ihm folgt der «g’flickte Böhm», der die Kerze trägt, dann wir anderen. «Acht geben da!» Im Simmeringer Ring arbeiten unter Tags Maurer an einer Ausbesserung, und da haben sie gerade vor diese Ausscheiböffnung ein Gerüst gestellt und neben dieses die Malter- und Kalktruhen. Ueber diese führt unser Weg ins Innere des Ringofens, dessen Rohziegelwände von dem flackernden Licht der Kerze gespenstisch beleuchtet sind. Wir wenden uns nach links. Ein langer, etwa 5 Meter breiter Gang liegt vor uns. Er scheint tief nach rückwärts zu gehen. Wie ein Irrlicht zittert im tiefsten Hintergrund die Flamme einer Kerze. Daneben hockt ein Etwas in gebückter Stellung... ein Mensch! Der Einzige?... Schon reißen mich meine Begleiter aus dem ersten Betrachten der mir völlig neuen Bilder. «Da schau’n S’ her, da liegt aner neb’n ’n andern.» Der «g’flickte Böhm» leuchtet mit der Kerze zu einem Sandhaufen, der neben mir liegt. Drei regungslose Elendsgestalten liegen auf dem Sand. Tief athmend, wie im Schlaf. Einige Schritte weiter, und wir sind im eigentlichen Schlafsaal. Da liegen sie, die Obdachlosen, einer neben dem anderen zur Linken und einer neben dem anderen zur Rechten...
Ein Bild von einer Karwiner Katastrophe kommt mir in Erinnerung. So habe ich schon einmal Menschenleiber gesehen. Es war im Zechenhaus, wohin man die verkohlten brandschwarzen Leiber der Knappen gebracht hatte; links eine Reihe Menschenleiber, rechts eine Reihe und im schmalen Mittelgang eine drängende Menschenmenge, jammernde Frauen, schluchzende Kinder, weinende Männer... Dieses Bild voll düsterer Grausigkeit kommt mir jetzt in Erinnerung.
Auch hier Menschenleiber zur Rechten, Menschenleiber zur Linken; schlafende Menschen, in Fetzen gekleidet, bloßfüßig die einen, angethan mit zerrissenem Schuhwerk die anderen. Alle unbedeckt, höchstens daß sie den regennassen Rock über ihre Schultern gebreitet haben, zwei Ziegelsteine und darauf der Hut als Kopfkissen, den mit Ziegelstückchen und Mist besäten Boden als Unterbett. Hier einer, um den Läusen zu entrinnen, splitternackt am Oberkörper, dort einer, der sich einen der Schiebkarren als Liegerstatt erobert hat. Er ruht auf ihm in halb sitzender Stellung. Sein struppiger grauer Bart fällt ihm auf die Brust, die sich in regelmäßigen Zügen hebt und senkt.
Grauen überkommt mich.
Seid ihr noch Menschen? Das also ist euer Los? Gehetzt, verfolgt, vorwärts gepeitscht von einem widrigen Schicksal, kriecht ihr hier unter, um Ruhe und Wärme für wenige Stunden zu finden, Ruhe und Wärme, die euch die Welt da draußen versagt, um die sie euch bestiehlt, und ihr nehmt euer Los hin mit hündischem Gleichmuth! Ihr seid froh, wenn ihr wenigstens hier Ruhe findet. So abgestumpft seid ihr gegen die Härten des Lebens, daß ihr nichts fürchtet als die Störung durch die Polizei, die euch wohl nicht helfen kann, die sich aber von Zeit zu Zeit verpflichtet fühlt, euch aufzupeitschen, daß
. . . den sichern Bürger schrecket
Nicht die Nacht . . .
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euch aufzupeitschen, daß der Polizeirapport an den Minister sagen kann: «Alles in Ordnung! Bei heutnächtiger Streifung 90 Obdachlose im Simmeringer Ringofen aufgegriffen. 10 davon dem Werkhaus, 5 den Bezirksgerichten nach §1 und 2 des Vagabundengesetzes überstellt, 15 als subsistenzlos zur Abschiebung in die Heimatgemeinde bestimmt, der Rest seit kurzem arbeits- und unterstandslos, aber nicht nach den angezogenen Gesetzesstellen zu behandeln, wurde in Freiheit gesetzt!»
Eure Exzellenz können wieder ruhig schlafen!
Und seine Gottähnlichkeit, der Herr Bürgermeister, kann auch wieder ruhig schlafen!...
Ich weiß es heute nicht mehr, was ich zu diesen armen Menschen damals sprach. Einer nach dem anderen wurde munter, dehnte sich und streckte sich und setzte sich dann auf, sprang auf die Beine und hörte. Plötzlich war Leben in die Leiber gefahren. Eine Schaar Elendsgeister umringte mich, haschte gierig nach Zigaretten, die ich ihnen brachte, und wurde nicht klug aus dem Menschen, der plötzlich bei Nacht und Nebel mitten unter ihnen erschien als Freund... mitten unter ihnen, unter diesen Menschen, die doch nur Feinde haben.
Einige Lichter flammen auf. Andere Elendsbrüder haben ihre Kerzenstümpfchen an unserer Kerze entzündet, und ich habe nun zehn Führer für einen. Sechzig Obdachlose habe ich in diesem Theil des Ringofens schon gezählt. Er ist von einer heißen Rohziegelwand abgeschlossen. Dahinter sind Ziegel im Brand. Aber drüben an der zweiten Längsseite der Ofen-Ellipse liegen noch welche. Wir gehen hinüber.
Auf dem Wege dahin sehe ich, wie aus der Innenwand des Ringes sich durch ein halbvermauertes Loch eine runzelige, harte Menschenhand herausstreckt. «Der mauert si ein,» sagt mir der Kerzenträger. Das Loch ist anstoßend auf den Erdboden. Ich lege mich platt nieder. Wirklich liegt da drinnen in einem Kanal – und zwar in einem sanft abfallenden Luftkanal, der zur «Glocke», dem unterirdischen Theil des Brennofens, führt – ein junger Mensch auf dem Bauch und ist eben bemüht, die in den Ring führende Oeffnung mit Ziegeln zu verlegen, damit er ungestört bleibe, wenn die Polizei kommt. Ich helfe ihm sein Nest bauen...
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Vom Schicksal erlegt. An dem Mauergerüst vorüber kommen wir in den anderen bewohnten Flügel des Ringofens. Hier zähle ich 28 Menschen. Also 88 übernachten hier in diesem Ringofen allein, und da ist er noch schwach belegt. Schon will ich mich zum Fortgehen wenden, da schiebt sich ein großer, breitschulteriger Mensch an mich heran. Offen sieht er mir ins Auge: «Das is schön, Genosse Winter, daß S’ Ihna um uns a amal umschau’n.» Ich glaube meinen Ohren nicht trauen zu dürfen. – «Kennen Sie mich denn?» – «Ja, von an Wiesenfest her!» Und dann erzählte mir der noch junge Mann seine Elendsgeschichte. Er ist Kesselschmied, war bis August ständig beschäftigt und kann seither wegen der Kriese nirgends mehr unterkommen: Was er hatte, verkaufte er, und jetzt hat er nur mehr die blaue Blouse, die er unter seinem Rock trägt, und diesen selbst. Tag für Tag erwartet er die Abschiebung. Abend für Abend sucht er zitternd sein hartes Steinlager im Ringofen auf, Nacht für Nacht fährt er erschreckt aus seinen Träumen auf, die ihm schon das mährische Heimatdorf zeigen, das er, der geborene Wiener, nie gesehen, nie betreten. «Waren Sie lange in der Partei?» – «Ja, seit i zum Denken ang’fangt hab’. I war ja auch Schriftführer der Ortsgruppe in L.»
Tief erschüttert stehe ich vor diesem Menschen, dem das Leben so hart mitgespielt hat.
Neben ihm lehnt einer, der mit großer Aufmerksamkeit der Szene folgt. Seine schwarzen Augen sitzen in einem italienischen Gesicht. Er macht einen intelligenten Eindruck. «Was ist’s denn mit Ihnen Herr? Sie sehen mir auch so aus, als ob Sie sich das nie hätten träumen lassen.» – «Nein, Herr! Ich hab’ fünf Realschulklassen absolviert.» – «Und Sie können heute nirgends unterkommen? Was waren Sie denn?» – «Magazinschreiber bei der Bahn.» – «Und dann?» – «Bin ich zum Militär gekommen, und seit ich zurück bin, seit Oktober, kann ich keine Arbeit finden. Alles umsonst, was ich auch versuche...»
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Die Kerzen verlöschen. Ich wende mich zum Gehen. Drei, vier tragen sich an, mich auf kurzem Wege nach Simmering zu führen, damit ich nicht nach Favoriten über die Felder zurück müsse. Ich lehne ab, und nur mein Treuester, der Kutscher, begleitet mich. Die anderen kriechen in den Ringofen zurück. Da wir einige Schritte weg sind, kommt uns der ehemalige Realschüler nach. «Gehen Sie auch mit?» – «Nein, ich geh’ nur auf die Wache.» Ein Stück geht er mit, dann bleibt er stehen. «So, hier ist der Posten.» – «Wie lange stehen Sie?» – «In zehn Minuten werde ich abgelöst.» – Ein stummer Händedruck, und ich gehe.
Die Schildwache aber pendelt auf und ab und sucht die Finsterniß zu durchdringen, den Feind zu erspähen, der für den Ministerrapport das beruhigende Wort braucht, daß alles in Ordnung ist. Heute oder morgen ist ja die Streifung zu «hoffen»... Da heißt es auf der Hut zu sein!
1) Auskundschafter, Angeber. zurück
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