Max Winter
Eine Hauptstreifung in der Brigittenau
«Verschüttet.» – Eine Nacht Polizeihäftling
Arbeiter-Zeitung Nr. 315 vom 16. 11. 1901
In dem Artikel über das «Hotel zur Teppichklopferei» habe ich der Polizei bitter Unrecht gethan. Ich schrieb damals in Beziehung auf die acht Höhlenbewohner der Großstadt, die ich im «Zweiercoupé» des «Hotels» besucht hatte, daß die Polizei sie ruhig verderben läßt, weil sie ihnen kein anderes Obdach als den stinkigen, überfüllten Polizeiarrest bieten kann, den diese armen Menschen noch mehr fürchten als ihr selbstgebautes Höhlenhaus. «Die Polizei läßt sie gewähren, und sie thut noch gut daran,» hieß es dort weiter, «daß sie so handelt, wenn sie nicht helfen kann. Aber wenn ein Funken sozialen Geistes in den Polizeigehirnen steckte, dann müßte die Polizei diese ihr längst bekannten Thatsachen in die Welt hinausschreien, immer und immer wieder bekanntmachen, um dadurch den Wiener Magistrat zu zwingen, diesem menschenunwürdigen Zustand ein Ende zu bereiten.» Darin, daß ich annahm, die Wiener Polizei könnte sozial richtig handeln, liegt das bittere Unrecht, das ich den Herren zugefügt habe. Sie scheinen das empfunden zu haben und nahmen – den Obdachlosen die Sache sehr krumm. Vergeblich suchte ich einige Tage lang in dem Polizeibericht eine Schilderung, die auf den Wiener Magistrat wirken sollte, vergeblich suchte ich auch nur ein Wort darüber zu finden, was die Polizei unternommen hat, um die Obdachlosen in menschenwürdige Verhältnisse zurückzubringen. Einer Behörde, deren Ausstellung seinerzeit der Wohlfahrtsabtheilung angegliedert war, konnte man ja immerhin zumuthen, daß sie ehrlich gemeinte Winke verstehen werde. Es kam anders. Die offiziellen Flöten schwiegen, also mußte ich mich selbst wieder auf die Beine machen, wenn ich etwas über das weitere Schicksal der Brigittenauer Obdachlosen erfahren wollte.
Am Montag Vormittag flanirte ich in der Brigittenau, um meine Freunde aus der Teppichklopferei zu finden. Bald trieb sie mir der Zufall in den Weg, und bald wußte ich auch, warum von den polizeilichen Aktionen nichts bekannt geworden war. Die Brigittenauer Polizisten hatten an den Obdachlosen furchtbare Rache genommen. Noch am Abend des 8. November, an dem meine Schilderung erschienen war, brach eine «Schmier» – so heißt in der Sprache der Vagabonden die polizeiliche Streifung – in das «Hotel zur Teppichklopferei» ein und begann den Feldzug gegen diese Abtheilung des großstädtischen Lumpenproletariats. «Mit die Sabeln san die ‹Putz› auf uns losganga...» «Der ‹Polak› von der Jubiläumsbruck’n war der Anführer...» «Viere san bei die Coupé mit der Latern kumma, viere bei der Teppichklopferei und achte war’n in der Mitt’n. So san’s einig’stürmt. ‹Oes Gauner, ös Falloten›...» «‹Steh’n bleib’n oder ich schieße!› hat der Polak’ g’schrien, und der Riemser hat mi mit’n Sabel am Kopf g’haut’...» «Unser’n Hund, den ‹Pst!›, hab’n’s für a Dacken g’halten und hab’n s’ a mitnehma woll’n, aber der Hund is ihna davon...» «‹In die Donau schmeiß m’r euch, ös Hund, daß amal d’rsaufts!› hab’n’s g’schrien und alle Fetzen hab’n’s außag’ramt und in d’ Donau g’haut, ‹daß’s amal erfrier’n müass’n herraußt, dö Gauner›...» So erzählen mir die Passagiere des «Hotels» im bunten Durcheinander ihre Erlebnisse in der Schreckensnacht. «Mei Bruader hat an Ziegelstan am Kopf kriagt, weil ’r net glei aussi’ganga is.» Jeder weiß ein Detail, alle sprechen zugleich, der eine beschwert sich über den Wachmann Riemser, der andere über den Riedl, der dritte über den «g’flickt’n Meier», der vierte über den «jüdischen Inspektor», den «Vierauget’n». Arretirt wurden ihrer fünfundzwanzig. Und seither kommt die «Schmier» jede Nacht. Die Coupés wurden zugeschüttet, die «Betten» herausgestellt – dennoch suchen Nacht für Nacht die Obdachlosen dort Unterkunft. – «Wann is denn wieder a Streifung?» – «Murg’n ganz sicher.» – «Da werde ich mich mitstreif’n lass’n. Wollt ihr mir behilflich sein?» – «Ja, kummen S’ nur, mir san bis um Neune beim ...» Sie nannten den Namen einer Stätte, in der sich Hungrige, die nur wenige Kreuzer zur Verfügung haben, zusammenfinden. «Kummen S’ nur. Aber geb’n S’ acht, daß S’ kann Ziegelstan am Kopf kriag’n.» – «Vor der Polizei hab’ i ka Angst, nur ihr dürft in mir keinen Feind seh’n.» – «Da können S’ ruhig sein. Mir g’hör’n zu Ihna.» – «Also abgemacht, um Neune beim ...» – «Mir san durt!»
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Schwierigkeiten. Ich war Dienstag um halb 9 Uhr zur Stelle. Meine Kompagnie fehlte. Bis ¼ 10 Uhr wartete ich geduldig, und dann ging ich zur «Teppichklopferei» hinaus. Aeußerlich ist noch alles wie früher, wenigstens im Dunkel der Nacht, die mich umfängt. Nur einige Zillen mehr stehen außerhalb des langgestreckten Schuppens. Unheimliche Ruhe umgibt mich. Deutlich vernehme ich das Fließen des Wassers. Sonst dringt kein Geräusch an mein Ohr. Es ist noch niemand da. Also zurück auf die Suche. Ich wandere die Treustraße hinab. Bis zur Othmargasse gehe ich vor, dann wieder zurück zur Teppichklopferei. So pendle ich zweimal hin und her. Keine Menschenseele begegnet mir. Nur an der Planke eines Holzplatzes glaube ich im Dunkel der Nacht zwei Gestalten zu sehen. Liebesgeflüster dringt zu mir herüber... Da ich zum drittenmale zurückgehe, begegnet mir der einzige Passagier der «Teppichklopferei», über den ich eine schlimme Aeußerung seiner Elendskameraden in meinem Artikel mitgetheilt hatte. Der «Hausmeister». Mein Feind?! Soll ich mich an ihn anschließen? Ich ziehe die Krämpe meines alten Lodenhutes noch tiefer in mein geschwärztes Gesicht und komme unerkannt an ihm vorüber. Er wandert in sein Quartier hinaus. Schon sinkt meine «Hoffnung», mit dem Polizeiarrest heute Nachts Bekanntschaft zu machen, als ich im Dunkel zwei Gestalten auftauchen sehe. Ich berechne meine Schritte so, daß wir bei einer Laterne zusammenkommen. Wieder Fremde – aber sie sind «Bettgeher». Sie sprechen gerade von dem kleinen Ranisch. Rasch entschlossen spreche ich sie an: «Is’s wahr, daß der Ranisch a Quartier hat?» – «Weg’n was woll’n S’ denn dös wissen?» – «I interessir’ mi für ihn.» – Jetzt beugt sich der große Mensch etwas nieder und sieht mir scharf ins Gesicht: «San Sö vielleicht der Max Winter?» – «Ja... und Sie der Huber?» – «Na, der bin i net!» – «Das is ja übrigens all’sans. Ich hab’ die Absicht, mich heut Nacht verschütt’n zu lassen, weil ich g’hört hab’, daß euch die Polizei jetzt jede Nacht am Hals kummt. I hab’ mi mit’n Rudl und mit’n Wenzl und mit no a paar andere z’sammb’stellt, und dö hab’n mi aufsitz’n lass’n.» – «Von mir aus können S’ a a ‹Kiewerer› sein. I pfei’ auf mei Leb’n... Wo hab’n S’ Ihna den z’sammb’stellt?» – «Beim ...» – «Durt geht ja dö ‹Platt’n› gar net hin.» – Jetzt mischte sich der zweite ins Gespräch. Ein kleiner Junge, der mir kaum bis zur Achsel reicht. «Dö sitz’n alle beim Auskocher.» – «Gehen S’, helfen S’ mir’s such’n...»
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Arretirt! Wir gehen über einige unverbaute Plätze der Klosterneuburgerstraße zu. Der Roßfleischauskocher hat schon gesperrt. Auch ein zweites Lokal, wohin uns der Kleine führt, ist bereits geschlossen. Es ist ja auch schon 10 Uhr vorüber. Wir kehren um und wandern langsam wieder die Klosterneuburgerstraße hinaus. Bei einer Laterne machen wir Halt, und der Größere von beiden zeigt mir seinen Werkhauszettel. Er ist am Samstag dem Werkhaus überstellt worden und nach achtundvierzig Stunden wieder losgegangen, nachdem er seine 4000 Sackln gepickt hatte. «Fix, dös stiert m’r’s. Wann nur dö ‹Hütt’n› net mehr war’. Mein’ Platz hab’ i dadurch verlur’n. I hätt’ mit’n ‹Viertel› fahr’n könna, aber i kann mi do net von der Polizei zu mein’ Herrn stell’n lass’n?!» Diese heilige Ordnung, die einen Menschen ums Brot bringt, weil Gesetz Gesetz ist, kann er absolut nicht begreifen. Ich lese eben den Werkhausschein, da kommt auf der anderen Seite der Straße ein Polizeiwachinspektor. «Der Todtenhansl,» sagt der Größere meiner Begleiter, der Huber, wie ich nun auf dem Werkhausschein lese. Ich hatte ihn also doch erkannt, den Huber, den zweiten «Hausmeister» des Hotels «zur Teppichklopferei». Der Inspektor geht uns vor und wir langsam hinterdrein. Plötzlich naht unser Verhängniß. Ein Rayonsposten bietet dem Inspektor willkommene Verstärkung. Einige Worte der Verabredung und sie stellen uns. Der Inspektor hat den Hauptangriff, der Wachmann fällt uns in die Flanke. «Wo wohnen S’ denn, Herr Huber?» – «Nirgends! Das wissen S’ ja eh, was frag’n S’ denn erst. Sö hab’n mi do um mei G’schäft bracht, in d’ ‹Hütt’n› aussi, Sö...» So schreit der Huber. Der Kleine steht gedrückt neben mir. –«Und Sie,» wendete sich der Inspektor mit etwas böhmischen Akzent an ihn, «wo wonnen Sie?» – «I bitt, i hab’ bis gestern in der Romanogass’n...» – «Ist schon gut. Und Sie, Herr?» Damit wendet er sich an mich. Ich war bis dahin in der Mitte der beiden gestanden, die Hände in den Hosentaschen vergraben, den Rock offen, um den zerfetzten blauen Barchentjanker besser zur Geltung zu bringen. «I verweiger Ihna die Auskunft.» – «Was?... Wie heißen Sie?» – «I verweiger Ihna d’ Auskunft.» – «Wo wonnen Sie?» Der gute Mann ist rathlos. – «Er verweigert d’ Auskunft,» sagt der Wachmann zu ihm. – «Nemmens S’ den Herrn mit,» sagt der Inspektor und weist dabei auf Huber, «und den a,» damit meint er den Kleinen... «und den Herrn a, weil er die Auskunft verweigert.» Ich war glücklich arretirt, schneller als ich es mir gedacht hatte.
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In der Wachstube. Wir werden zunächst in die Wachstube des Kommissariatsgebäudes geführt. Beim Aufnahmstisch sitzt ein Wachmann und zählt eben das Geld eines Häftlings ab. «Zwa Guld’n vierz’g Kreuzer. Da könnten S’ scho a Bett drum krieg’n.» Der Häftling steht mit weinerlicher Miene dabei. «Na, so a Schand’... weg’n nix arretirt...» Plötzlich wendet er sich zur Thür. «Ah, habts mi gern!» schreit er noch, und draußen ist er. Der schreibende Wachmann springt vom Tisch auf, ein anderer, älterer, erhebt sich von seiner Liegerstätte hinter einer spanischen Wand und kommt hervor. Sein Kollege ist schon bei der Thür draußen. «Was is’s denn?» fragt der alte Wachmann. «Palisirt is er,» sagt der Huber. «Und der Wachmann is ihm nach.» – «Wer war’s denn?» fragt der Aeltere einen Wachmann, der auf dem Feldbett beim Fenster liegt. «Der Hibscher.» – «Na, der erwischt ’n scho.» – Nach dieser beruhigenden Mittheilung wendet sich der Wachmann an uns und beginnt unser Nationale aufzunehmen. Huber und der kleine Tischler – ein solcher war mein zweiter Kamerad – geben ruhig ihre Effekten aus dem Sack und legen sie in den Hut. Der Wachmann, der uns eingebracht hatte, wendet sich an mich mit seinem offenen Notizbuch: «Wie heißen Sie?» – «I hab’ Ihna ’s scho g’sagt, daß i die Auskunft verweiger’.» – «Aber was soll i denn einschreib’n?» – «Das müassen Sie wissen.» Nun nimmt mich mit demselben Erfolge der ältere Wachmann ins Verhör. Mittlerweile ist auch schon der Inspektor gekommen, der uns angehalten hatte, und assistirt ihm. Beide bemühen sich vergeblich, mich zu bekehren.
Der Wachmann Hibscher kommt wieder zurück und schiebt den entflohenen Arretirten vor sich her. Mit sicherem Griff hält er ihn am Rockkragen. «I wer d’r geb’n a’pasch’n!» Er führt ihn ins erste Stockwerk zum Kommissar hinauf.
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Eine «Goldkrone». Meine Vernehmung hat durch diese Szene eine kleine Unterbrechung erlitten. Wieder beginnt das alte Spiel von vorn. Da ich absolut nichts sagen will, bestimmt mich der Inspektor zur Vorführung. Vorher werden meine Taschen durchsucht. Sack um Sack durchwühlt der Wachmann. Mein Hausthorschlüssel, mein Taschentuch, mein abgebrochener Kamm, mein gesprungener Reklamespiegel und meine Zigaretten sind schon in den Hut gewandert. Der Havelock und Rock sind leer. Nun öffnet er den blauen «Janker» und durchsucht das Gilet. In einer der Taschen habe ich vorsichtshalber ein Goldstück aufbewahrt: 20 Kronen. Wenn alle Stricke reißen, soll diese Münze mich verdächtigen. Der Wachmann nimmt zuerst das Messer heraus, greift dann nochmals in die Tasche und zieht nun die funkelnde Münze heraus. Er traut seinen Augen nicht... vielleicht hat der schlecht gezahlte Staatsdiener auch noch kein Zwanzigkronenstück in der Hand gehabt. Er hält es zur Petroleumlampe hin, die auf dem Tisch steht, der Inspektor beugt sich auch darüber, und endlich löst sich der Ausruf von seinem Munde: «Eine Goldkrone!...» Langsam faßt er sich. «Eine Goldkrone. Sie kommen mit zum Herrn Kommissär.» Der Wachmann hat kaum Zeit, mir das Kleingeld aus der Hosentasche zu nehmen und es vor mir nachzuzählen. So eilig hat es der Inspektor. Der Flüchtling kommt zurück. Seine Unschuld hat sich herausgestellt. Er ist ein Opfer der Streifung und kann nun gehen. Er weint vor Zorn. «Was blatzt d’ denn?» ruft ihm der Huber zu. Das Weitere erfahre ich nicht mehr. Ich werde dem Kommissär vorgeführt.
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Der Inspektor täuscht sich groß. Ueber die Stiege hinauf muß ich ins Kommissariat. Im Vorzimmer warte ich einen Augenblick, dann werde ich eingelassen. Der Kommissär – Herr Blum hat Dienst – mustert mich und beginnt dann seine Fragen: «Wie heißen Sie? – Wo wohnen Sie?» Auch ihm verweigere ich die Auskunft. «Also Sie wollen es nicht sagen?» – «Nein.» – «Warum nicht?» «Weil i nix ang’stellt hab’, daß mi der Herr arretiren kann. I bin ruhig ’ganga, hab’ niemand’n nix in Weg g’legt und bin mitg’numma wurd’n. I möchte’ do sehn, ob m’r in Wien so mir nix dir nix arretirt werd’n kann, wenn m’r nach Zehne durch d’ Klosterneuburgerstraß’n geht.» – «Was Sie da sag’n, is ja blöd!» – «Herr Kommissär, i bin höfli, i brauch’ m’r das von Ihnen net sag’n z’lassen.» – «Das ist blöd. I sag’s noch amal, das ist blöd. Was woll’n Sie denn erreichen damit, daß Sie nicht Ihren Namen sag’n?» – «I möchte’ sehn, ob m’r an Menschen so arretiren kann.» – «Wissen S’ was S’ erreichen werd’n? Jetzt bleib’n S’ über d’ Nacht im Arrest und in der Früh werden S’ dann dem Erkenntnißamt überstellt. In einer halben Stund’ wissen wir, mit wem wir’s zu thun hab’n.» – «Das is möglich.» – «Also Sie sag’n’s nicht, wer Sie sind?» – «I hab’ Ihnen mei’ Antwort scho geb’n.» – «Also gut. Führ’n S’ ihn ab»!
Ich wende mich zur Thür. Da wirft sich der brillentragende Inspektor in die Brust und sagt zum Kommissär, indem er seine Finger bei jedem Wort gegen mich schleudert, um seinen Worten mehr Nachdruck zu geben: «Herr Kommissär, wann ich mich nicht groß täusche, so hab’ ich den Fall schon vor sieben Jahr’n gehabt.» Der Kommissär wiederholt seinen Befehl, und ich werde abgeführt.
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Im Arrest. Im Parterre öffnet sich die Arrestthür vor mir; der Wachmann Hibscher reißt die Riegel zurück, sperrt auf und schiebt mich hinein. Hinter mir fällt die eisenbeschlagene Thür ins Schloß. Ich bin im Polizeiarrest und warte der Dinge, die da kommen werden. Ich finde bereits drei Kameraden vor. Zwei schlafen auf der für vier berechneten Pritsche. Einer sitzt auf ihr, mit dem Rücken an die Wand gelehnt, die Füße mit den schweren Stiefeln hat er oben. Der andere Wandsitz ist frei. Auf ihm quartiere ich mich ein. Keine fünf Minuten später werden auch meine beiden Kameraden in den Arrest geschoben. Sie hatten mich bei dem Verhör, dem auch sie unterzogen worden waren, nicht verrathen.
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Das zweite und dritte Verhör. Wir haben uns noch nicht ausgesprochen, als schon wieder der Herr Hibscher in der Thür erscheint und mich zum Verhör holt. Die Sache fängt mich zu belustigen an, und ich schlage eine andere Taktik ein. Ich bleibe bei meiner Weigerung, Angaben zu machen, bringe dafür aber einen plausiblen Grund vor. – «Ja, warum wollen Sie denn nichts sagen?» - «Weil ich nicht weiß, was mit mir dann geschieht. Sie telegraphiren vielleicht wohin – ich weiß ja nicht, was Sie thun – und es wird dann weg’n mir wer im Schlaf gestört. Vielleicht hab’ ich Angehörige in Wien, die ich nicht deshalb weil ich in der Klosterneuburgerstraße spazieren ’gangen bin, in Aufregung versetz’n will.» – «Ich kann Ihnen nicht versprechen, daß ich nicht telegraphire. Aber wenn Sie ein harmloser Mensch sind – es ist ja möglich –, dann sagen Sie’s doch. Sie verschlimmern nur Ihre Lage. Zum mindesten müssen Sie bis morgen Früh im Arrest bleiben.» – «Ich werde mein Los mit der Geduld ertragen, die man unter solchen Umständen haben muß. Ich leide lieber selbst, als daß andere weg’n mir leiden. Ich bin nämlich rücksichtsvoll.» – Der Kommissär lächelt malitiös. «Sie fangen an, mich zu belustigen.» – «Das freut mich. Wie ich sehe, haben die Herren einen ziemlich anstrengenden Dienst, und ich bin glücklich (mit einer artigen Verbeugung), Ihnen eine frohe Stunde zu bereiten.» – Der Kommissär und ein Detektiv, der an ein Stehpult gelehnt hinter ihm steht, lachen. Verzweifelnd machte der Kommissär noch einen Versuch, und dann läßt er mich abführen.
Keine zehn Minuten später stehe ich abermals vor dem Inquisitor. Diesmal kommt er mir von der höflichen Seite. Von dem Menschen mit der blöden Verantwortung bin ich mittlerweile zu einem, der einen intelligenten Eindruck macht, und dann gar zu einem sehr intelligenten Menschen avancirt. Ich bedanke mich jedesmal für das Kompliment, bleibe aber weiter der verstockte Sünder.
Auch ein Verdacht keimt nun schon in dem Kommissär auf. «Sie können ja ein harmloser Mensch sein. Warum wollen Sie also im Arrest bleiben? Haben Sie einen bestimmten Grund?» – «Sie kennen ihn.» – «Wann werden Sie sagen, wer Sie sind?» – «Vielleicht morgen Früh, wenn ich gut aufgelegt bin.» – «Werden Sie gut aufgelegt sein?» – «Das kommt darauf an, wie ich schlafe.» – Ein Lächeln umspielt die Mundwinkel des Kommissärs. «Ich habe einen bestimmten Verdacht, daß Sie ein Herr sind, den ich persönlich nicht kenne, von dem ich aber glaube, daß er im Stande ist, in solche Situationen zu kommen.» – «So?» – «Sind Sie der Herr?» – «Ich weiß nicht, wo Sie hinaus wollen, Herr Kommissär, aber ich bin mir keiner Handlung bewußt, daß Sie mich kennen müßten. Es ist möglich, daß mich die Polizei kennt, aber ich wüßte nicht, weshalb.» – «So, dann werden Sie es also nicht sein.» Nochmals und nochmals nimmt der Kommissär seine Versuche auf, mir vorzustellen, daß ich meine Lage nur verschlimmere. Ich bleibe aber verstockt. Endlich läßt er mich wieder abführen. Da ich in der Thür bin, ruft er mir zu: «Also, machen Sie Ihre Studien!» Verständnislos sehe ich ihn an, merke aber, daß es hoch an der Zeit ist, auf der Hut zu sein.
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Ein alter Polizeiwitz. Die Thür ist hinter mir wieder zu, und ich beginne eben mit dem Huber zu wispeln, als ich draußen wieder Schritte höre. Schon sitze ich in meiner Ecke und «tunke». Dabei denke ich an den alten Polizeiwitz, verstockte Sünder plötzlich bei ihrem Namen zu rufen, um sie zu entlarven. In dem Moment öffnet sich die Thür. Der Detektiv erscheint in ihrem Rahmen und ruft mit lauter Stimme in den Arrest: «Herr Winter!» Ich verrathe durch keine Miene, wie sehr mich dieser Spaß unterhält, und tunke weiter. «Winter! Winter!» ruft der Blondbärtige nochmals. Der Huber erhebt sich von seinem Lager und stößt mein Gegenüber auf der Pritsche an. «Haßt du Winter?» – «Ah laßts mi i Ruah.» – Der Geheimpolizist kommt nun in die Zelle und auf mich zu. Er rüttelt mich leise. «Schlafen Sie?» – «Na, muaß i wieder ’nauf zum Kommissär?» – «Na, bleib’n S’ nur.» Damit geht er. Nachdem wir uns sicher fühlen, wird der Huber lebendig. «Mit so aner alten Schmäh’ will Ihna der Kiewerer fangen.» Er lacht, und ich danke ihm für die Assistenz.
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Ein hygienisches Gefängniß. Von da ab habe ich Ruhe, und ich kann mich mit Muße meinen Studien hingeben. Nur einmal noch versucht der Wachmann Hibscher mich herumzukriegen, da ich ihm aber sage, daß ihm doch nicht gelingen wird, was schon der Kommissär vergeblich gewollt hat, gibt er den Versuch auf und begnügt sich, mich nochmals zu durchsuchen, ob ich nicht vielleicht doch noch irgendwo eine Goldkrone oder sonst etwas habe. Ich konnte dem Manne den Gefallen nicht erweisen. Nicht einmal einen kleinen Dolch hatte ich mehr bei mir. Er hatte mich schon das erstemal gründlich «ausg’stiert», so gründlich, daß selbst meine Zigaretten zum Opfer gefallen waren. Meine Kameraden helfen mir aus. Zuerst mit einer ganzen «Drama» und dann, da absolut keine ganze Zigarette mehr aufzutreiben ist, mit Stümpferln, die sie vorsichtshalber immer sammeln. Kein «Tschick», und sei er auch noch so klein, wird weggeworfen. Er wird «geköpft» – das heißt, es wird die Gluth abgestreift – und dann wird er aufbewahrt. Mit dieser Waare werde nun ich versorgt. Da ich ein «Fluß» – Zigarettenpapier – bei mir habe, kann ich mir eine Zigarette drehen, und mir doch ein wenig die Zeit vertreiben. Die Arrestluft beginnt bereits unerträglich zu werden, trotzdem wir erst unser sechs darin sind: einer, der den «Wienverweis» hat und bei den Franziskanern aufgegriffen wurde, als er um seine Suppe ging, ein junger Mensch, der die ganze Nacht wie eine Ratte schlief, ein Schwerkutscher, der sechs Stunden Arrest abzubüßen hat, und wir Drei. Ich berechne mir den Luftraum. 8 Schritte lang = 6 Meter, 2 ½ Schritte breit = 2 Meter und 4 Meter zirka hoch, das gibt 48 Kubikmeter; der Arrest hat also nach dem Gefängnißluftmaß für vier Personen Raum – und wir sind unser sechs. Es sollte aber noch viel, viel schlimmer kommen.
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Der verrätherische Husten. Es mag etwa halb 2 Uhr sein, als wir den ersten Zuwachs bekamen. Ein grobschlächtiger Mensch wurde zuerst hereingeschoben. Er tobt und flucht: «Den Hund d’rwürg’ i no... Der soll m’r nur eini kummen, der böhmische Fallot... An d’ Wand pick i ’n an, den Gauner, den Galingdiab...» so kommt es stoßweise heraus, dabei durchmißt er in großen Schritten die Zelle. Endlich macht er neben mir Halt, ergreift den Huber, der querüber liegt, bei den Füßen und schleudert die Füße gegen die Wand: «Brauchst du allan den Platz, Pülcher?» Dann kriecht er auf die Pritsche, nimmt von dem kleinen Tischler einen Theil seines Rockes, den dieser als Polster verwendet, und legt sich grollend nieder. Da knackt wieder der Schlüssel, und eine wahre Jammergestalt wird hereingeschoben. Der Fechtbruder, wie er im Buch steht. Der Große beginnt von neuem zu fluchen: «Da bist ja, böhmischer Fallot!» Der Angekommene drückt sich zitternd in eine Ecke. «I sag’ d’r’s, geh’ furt von durt, daß i di net siech... Gauner, Pülcher!» Da der andere jetzt ein paar Schritte macht, um einen anderen Platz zu wählen, hört man deutlich, wie in seinem Sack die Blechschale – der «Taxameter» – und der Löffel zusammenschlagen. Er zittert am ganzen Leib. Plötzlich springt der Große auf und stürzt sich mit einem Fluch auf ihn. Schon hat er ihn an der Gurgel... «Zu Hilfe! Zu Hilfe!» kreischt der Angefallene kläglich. Ein Wachmann öffnet rasch die Thür. «I sag’ Ihna’s, Berger, wann S’ ka Ruah geb’n krieg’n S’ doppelte Ketten!» herrscht er den Angreifer an. Der zieht sich knurrend zurück. Flehentlich bittet der böhmische Fechtbruder, ihn nicht im Arrest zu lassen. «Bleiben S’ nur da, es g’schiecht Ihnen nix.» Der Große liegt schon wieder auf der Pritsche, grollt eine Weile fort und legt sich dann mit der Schmeichelei nieder: «Ah was, es steht m’r net dafür, weg’n so an böhmischen Griasler; aber mir soll no amol aner kumma! Verrecken lass’i eahm ehnder...» Jetzt mengt sich der Mann mit dem «Wienverweis» ein. «Hat er g’wamst?» – «Da hätt’ i den Hund do glei d’rschlag’n. G’huast hat ’r, wie die Putz1) vurbeikumma san. Sechs Woch’n hab i scho den schön’ Platz g’habt und hab alle Nacht ruhig pfeiffen könna, und jetzt huast der Kerl.» – «Ja huasten därf m’r net. Das is bös!» – «I hab’n scho’ net zuhi lass’n woll’n, aber weil ’r so schön bettelt hat, der böhmische Fallot...» – Wo habt’s denn ’pfiff’n?» – «Bei an’ Gärtner!» – «Am Haufen?» – «Ja.»
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Der Herr mit’n «Siphon». «Wo hast denn du ’pfiff’n?» – «I? Mi hab’n s’ weg’n Wienverweis g’schnabelt.» – «Ui je! Seit wann hast d’ denn ’n ‹Siphon› anhänga?» – «Seit neun Jahr.» – «Hab’n s’ di das erstemal d’rwischt?» – «Na, scho’s drittemal!» – «No, da kann scho’ a schön’s Schmalz außakumma.» – «’s letztemal hab’ i zehn Täg g’habt.» – «Da kannst dösmal scho’ zwa Meter Schmalz2) fass’n. Wer hat di’ denn g’schnabelt?» – «A Putz. Scho’ ’s zweitemal derselbe. Er is früher am Ballplatz g’stand’n. I bin eahm eh ausg’wich’n, den... und jetzt packt ’r mi bei dö Franziskaner. Daß dö Putz jetzt so oft ’n Rayon wechseln, hab’ i net g’wußt. Früher war dös amal anders.» Der böhmische Fechtbruder hat sich mittlerweile zu meinen Füßen auf den Erdboden gelegt und stimmt bald ein in das allgemeine Schnarchkonzert, das nun beginnt. Unerträgliche Misthaufenluft steigt von dem vor mir liegenden Menschenklumpen auf. Ich gebe meinen Platz einstweilen preis und drücke mich in die entfernteste Ecke.
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Die «Passagiere» des «Hotels zur Teppichklopferei» sind der nächste Schub, der in den Arrest kommt. Sechs Mann hoch marschieren sie auf, an der Spitze mein Feind, oder doch der, den ich dafür hielt: der zweite Haumeister des «Hotels». Er tritt an die Pritsche heran und fragt, wer schon da sei. Der kleine Tischler sagt, daß der Huber in der Ecke liege. «Der Huaber? Wo hat denn der heut ’pfiff’n?» – «Nirgends. Auf der Gass’n haben s’ uns z’samm’packt.» Das kann der «Hausmeister» gar nicht fassen. Er rüttelt den Schläfer auf und leuchtet mir dann mit einem Streichholz ins Gesicht. Ich hatte mich mittlerweile wieder auf meinen Sperrsitz zurückgezogen. Er wird nicht klug aus meinem Gesicht. Für mich gilt es nun aber zu handeln. War er mir wirklich feindlich gesinnt, dann konnte er Lärm schlagen und mich verrathen. Ich mußte also mit ihm paktiren. Ich lege den Zeigefinger an die Lippen und ziehe ihn in eine Ecke. Dort erzähle ich ihm meine Abenteuer und gewinne sofort seine Sympathie. Wenn er mir wirklich böse war, jetzt ist er mein Freund, der seine Zigaretten brüderlich mit mir theilt und mir behilflich ist, meine Studien fortzusetzen.
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Von der «Hex» und anderen Sachen. Er verwickelt zuerst den «Einspänner» in ein Gespräch und dann horcht er alle Nachschübe aus. Der «Einspänner» erzählt, daß er erst am Samstag vom Bezirksgericht losgegangen sei. – «Weg’n was san S’ denn g’sess’n?» – «Diebstahl.» – «Das erstemal?» – «Na, ’s drittemal. Aber immer nur wegen Theilnahme. In Summer war i sechs Monat beim Couvertmach’n3).» – «A weg’n Diebstahl?» – «Na, Einbruch. Aber schöner is durt no, wia da herin. – Geh’, Hausmaster, i kräul aufi und mach’ ’s Fenster auf. Dös is ja net zum Aushalt’n. In Stan hab’ i allani so a Quartier g’habt, wia mir da alle mitsamm’.» – Der «Hausmeister» hält ihm die Hand unter den Fuß und hebt ihn, elegant wie im Zirkus der Stallmeister die Kunstreiterin, in den Sattel. Ein Ruck, und er hat das Eisengitter umfaßt, den Körper nachgezogen und nestelt nun an der Oberlichte des Fensters herum. Es ist eingerostet und kann nicht geöffnet werden, nur eine schmale Spalte bringt er auf. Wir sind also weiter verurtheilt, diese stinkige Luft zu athmen. Schon sind wir unser sechzehn, und die Luft ist schon dick zum Schneiden. Ich glühe im Gesicht...
«Mi könnens nimmer in d’ Hütt’n4) außistelln,» frohlockt der Hausmeister. «I hab’ zwa Monat Hausverbot.» – «Weg’n was denn?» – «Weg’n ’n Rauchen.» – «So? Is ’s jetzt so streng?» – «Ja, wia aner rauckt, kriagt ’r ’n Hausverbot. Mi könnens murg’n scho’ in Oderberger5) setz’n, um halber Zwölf bin i wieder frei.» – «Wann geht denn der Schub ab?» – «In d’ Hütt’n geht um halber Neune ’s Schiff6).» – «Mir hat ’r scho d’ Hex7) androht s’ letztemal,» mengt sich jetzt wieder der «Einspänner» in’s Gespräch; «jetzt därf i acht geb’n, sunst kumm i am End’ a no in’s Beiß8), da is ’s m’r in Kitterl9) no liaber.» – «Mir können wenigstens net ’n Geist10) krieg’n,» wirft nun einer dazwischen, der bisher geschwiegen. – «No, d’ Hex hat scho’ a ihre Mucken. G’schenkt bleibt kan nix. Ja wann m’r Lackböck tragerten und mit n’ Zylinder spazieren gangten, nachher war’s was anders – aber uns hat glei’ die ‹Schmier›11) und der ‹greane Heinrich›12).»
So lieblich gehen die Reden lange und lange fort. Die Neueingelieferten erzählen, wo und wie sie erwischt wurden – keiner von allen hatte ein anderes Verbrechen begangen, als daß er im Freien geschlafen hatte, weil er obdachlos war. Eine dreiköpfige «Platten»13) hatte auf einer Wiese in einer mit Stroh gefüllten Grube gepfiffen. Einer von ihnen hat einen gebrochenen Fuß, der nicht ordentlich ausgeheilt zu sein scheint. Er hinkt. Die anderen beiden sorgen für seinen Unterhalt – das heißt sie theilen ihren Branntwein mit ihm. Die Platte, mit der ich Rendezvous gehabt hatte, wurde nicht erwischt.
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Das Geständniß. Es ist mittlerweile halb 6 Uhr geworden und es scheint mir die Zeit gekommen, um zum Geständniß zu schreiten. Unsere Zahl ist auf zwanzig angewachsen. Vier liegen auf der Pritsche, vier sitzen darauf, drei haben es sich am Erdboden so bequem wie möglich gemacht und wir übrigen neun stehen in qualvoller Enge. Der «böhmische Fechtbruder» will nicht aufstehen und nimmt uns den Platz weg mit seinem plumpen Körper. «Geh’, spuck eahm ins G’sicht!» ruft einer dem zu, der dem Fechtbruder am nächsten steht. Der befolgt sofort die Aufforderung. Der Schläfer setzt sich nun auf und zieht die Füße ein. Den Speichel wischt er sich mit dem Aermel aus dem Gesicht. Dann tunkt er weiter... Diese Szene gibt mir den Rest. Ich «pumpere» an die Thür. – «Was woll’n S’ denn?» – «Wecken S’ mir den Herrn Kommissär auf, ich will ein Geständniß ablegen.» – «Wia haßen S’?» – «Sag’n S’ nur, der Unbekannte.» – Er schlägt die Thür zu und geht – in die Wachstube. Fünf Minuten warte ich noch, dann klopfe ich wieder: «Um Sechse kummen S’ zum Herrn Kommissär ’nauf.» – «Führen Sie mich sofort vor.» – «Hängen S’ Ihna auf!» – «Sie, Herr Wachmann, merken Sie sich, was Sie gesagt hab’n.» – Das wirkt. Wenige Minuten später stehe ich vor dem Kommissär.
«Sie wünschen?»
«Mein Nationale will ich angeben und einige Beschwerden vorbringen.»
«Wie heißen Sie?»
«Max Winter.»
«Also doch!» Der Kommissär schlägt mit der Hand auf den Tisch auf, kann sich eine Weile gar nicht fassen und der Geheimpolizist hinter ihm ebensowenig. «Also doch! Eigentlich haben wir Sie schon erwartet.»
«Sehr schmeichelhaft.»
«Ich habe mir schon beim dritten Verhör gedacht, entweder sind Sie ein raffinirter Verbrecher, oder der Max Winter.» – «Besten Dank für das Kompliment... Uebrigens habe ich Ihren Verdacht gemerkt.» – Der Detektiv: «Aber, daß Sie so gefaßt waren und sich nicht gemeldet haben, wie ich Sie angerufen habe? Da hätt’ ich nicht mehr gedacht...»
«Aber bitt’ Sie, auf so einen alten Polizeiwitz soll ich hineinfallen!» Wir lachen alle.
«Und Ihre Beschwerden, Herr Winter?» fragt der Kommissär.
«Die erste betrifft den Arrest. Wir sind unser zwanzig unten bei einem Luftraum von 48 Kubikmetern. Das ist unmenschlich, zum Ersticken! Nur vier können liegen. Die meisten stehen zusammengepreßt wie Häringe. Dieses Obdachlosenquartier ist eine Schande für Wien... Dann muß ich mich über den Herrn (auf den Wachmann weisend) beschweren. Er hat mir vor fünf Minuten den Rath gegeben, mich aufzuhängen, als ich verlangte, vorgeführt zu werden.»
Der Wachmann leugnet.
«Na, lassen Sie’s gut sein, Sie haben es gesagt, aber lernen Sie daraus, daß auch im Arrest Menschen sind.»
Der Kommissär: «Fast lauter notorische Vagabunden.» – «Aber doch auch Menschen, und es ist furchtbar, sie so zugrunde gehen zu lassen.»
«Haben Sie noch eine Beschwerde?»
«Nein.»
«Ich danke Ihnen. Sie sind entlassen.»
«Wenn ich nun aber doch der raffinirte Verbrecher bin, was dann?»
«Nein, nein, Sie sind schon der Richtige!»
Ich war entlassen. Als ich von meinen Kameraden beim Guckloch Abschied nehme, rufen sie mir zu: «Jetzt san m’r scho zwaazwanz’g!» Es hatte also jeder nur 2,018 Kubikmeter Luftraum bei dem Mangel jedweder Ventilation. So sieht es in dem Asyl aus, das Polizei und Magistrat den Obdachlosen bieten. Hab’n da die «Bettgeher» nicht recht, wenn sie lieber in der «Teppichklopferei» übernachten?!
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Hängen S’ Ihna auf – Herr von Winter! Der Wachmann, der mir früher den Rath gegeben hatte, daß ich mich aufhängen solle, ist nun die Liebenswürdigkeit selbst. Er übergibt mir mit Zuvorkommenheit meine Effekten, ersucht um meine Unterschrift im Aufnahmeprotokoll, und da ich mich zum Gehen wende, reicht er mir die Hand zum Abschied: «I hab’ die Ehre, Herr von Winter.»
Mit einem Lächeln auf dem Munde eile ich in den nebligen Morgen hinaus.
1) Wachmann. zurück
2) Zwei Monate Arrest. zurück
3) Couvertabtheilung der Strafanstalt Stein. zurück
4) Werkhaus. zurück
5) Schubwagen. zurück
6) Schubwagen. zurück
7) Polizeiaufsicht. zurück
8) Haus, Arbeitshaus. zurück
9) Gefängniß. zurück
10) Wienverweis. zurück
11) Polizeiliche Streifung. zurück
12) Schubwagen. zurück
13) Kompagnie von Leuten, die im Freien schläft. Platt machen = im Freien schlafen. zurück
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